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Die "Kleine Eiszeit" : holländische ... - Bibliothek - GFZ

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<strong>Die</strong> „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ · Holländische Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert<br />

<strong>Die</strong> „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“<br />

Holländische Landschaftsmalerei<br />

im 17. Jahrhundert<br />

Gemäldegalerie Berlin<br />

Bilder im Blickpunkt


Bilder im Blickpunkt<br />

<strong>Die</strong> „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“<br />

Holländische Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert


Eine Ausstellung der Gemäldegalerie,<br />

Staatliche Museen zu Berlin,<br />

in Zusammenarbeit mit dem<br />

GeoForschungsZentrum (<strong>GFZ</strong>), Potsdam<br />

Gemäldegalerie,<br />

Staatliche Museen zu Berlin<br />

12. 9. 2001–6. 1. 2002<br />

Altonaer Museum in Hamburg,<br />

Norddeutsches Landesmuseum<br />

30. 1. 2002–7. 4. 2002


<strong>Die</strong> „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“<br />

Holländische Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert<br />

Gemäldegalerie


Herausgeber:<br />

Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin<br />

Preußischer Kulturbesitz<br />

Katalog zur Ausstellung:<br />

<strong>Die</strong> „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ –<br />

Holländische Landschaftsmalerei im 17. Jahrhundert<br />

(Reihe: Bilder im Blickpunkt)<br />

Redaktion:<br />

Michael Budde<br />

Gestaltung:<br />

Ellen Senst<br />

Restauratorische Betreuung:<br />

Gisela Helmkampf, Beatrix Graf sowie Rainer Wendler<br />

Abbildungen auf dem Umschlag<br />

Vorderseite:<br />

Aert van der Neer,<br />

Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern bei Sonnenuntergang,<br />

um 1655/60, Gemäldegalerie Berlin<br />

Rückseite:<br />

Cirruswolken in der Nähe einer Front, Coesfeld/Westf.,<br />

25.4.1978, 08:35 Uhr;<br />

Esaias van de Velde, Ansicht von Zierikzee,<br />

1618, Gemäldegalerie Berlin<br />

© 2001 Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin<br />

Preußischer Kulturbesitz<br />

Gesamtherstellung:<br />

Rauscher Druck und Medien, Berlin<br />

ISBN: 3-88609-195-3<br />

Printed in Germany<br />

In Zusammenarbeit mit dem<br />

In der Reihe<br />

Bilder im Blickpunkt<br />

sind bislang folgende Bände erschienen:<br />

Rainald Grosshans,<br />

Jacob von Utrecht. Der Altar von 1513, Berlin 1982<br />

(vergriffen)<br />

Jan Kelch (Hrsg.),<br />

Der Mann mit dem Goldhelm.<br />

Eine Dokumentation der Gemäldegalerie in<br />

Zusammenarbeit mit dem Rathgen-Forschungslabor SMPK<br />

und dem Hahn-Meitner-Institut Berlin,<br />

Berlin 1986 (vergriffen)<br />

Rainer Michaelis,<br />

Fridericiana. Christian Bernhardt Rode (1725–1797),<br />

Berlin 1999<br />

Ulrike Nürnberger,<br />

Zeitenwende. Zwei Kölner Maler um 1500.<br />

Jüngerer Meister der Heiligen Sippe.<br />

Meister des Aachener Altars,<br />

Berlin 2000<br />

Hannelore Nützmann,<br />

Alltag und Feste. Florentinische Cassoneund<br />

Spallieramalerei aus der Zeit Botticellis,<br />

Berlin 2000<br />

Rainald Grosshans und Maria Reimelt,<br />

Maler des Lichts. Der Meister der Darmstädter Passion.<br />

Zur Restaurierung der Berliner Altarflügel,<br />

Berlin 2000<br />

Gefördert durch Ein Beitrag zum Jahr<br />

der Geowissenschaften


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorworte 7<br />

Bärbel Hedinger<br />

Wirklichkeit und Erfindung in der <strong>holländische</strong>n<br />

Landschaftsmalerei 11<br />

Franz Ossing, Jörg F. W. Negendank, Rolf Emmermann<br />

Wie entsteht Landschaft? 26<br />

Franz Ossing<br />

Der unvollständige Himmel –<br />

Zur Wolkendarstellung der <strong>holländische</strong>n Meister<br />

des 17. Jahrhunderts 41<br />

Jörg F. W. Negendank, Cathrin Brüchmann,<br />

Ulrike Kienel<br />

<strong>Die</strong> „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ und ihre Abbildung<br />

im Klimaarchiv Binnensee 55<br />

Michael Budde<br />

Eisvergnügen und andere Lebenswirklichkeiten –<br />

Bedeutungsebenen <strong>holländische</strong>r Winterlandschaften 64<br />

Zusammenfassung/Summary 86<br />

Anhang<br />

Künstlerverzeichnis 88<br />

Literaturverzeichnis 89<br />

Abbildungsnachweis 92


Dem Anschein nach waren die Holländer des 17. Jahrhunderts<br />

begeisterte Schlittschuhläufer. Auf den Winterbildern<br />

der Zeit geben sich Arm und Reich, Jung und Alt, Anfänger<br />

und Fortgeschrittene diesem Vergnügen hin. Spaziergänger,<br />

Schlittenfahrer und Fischer vervollständigen das abwechslungsreiche<br />

Treiben auf den vereisten Grachten, Flußläufen<br />

oder Binnenmeeren des Landes. Dabei wirkt mancher der winterlichen<br />

Naturschauplätze figürlich derart dicht besetzt, dass<br />

der Eindruck entsteht, als habe sich dort ein ganzes Volk versammelt<br />

- trotz klirrenden Frostes! <strong>Die</strong> kalte Jahreszeit hat damals<br />

Gefallen gefunden, jedenfalls unter dem Aspekt ihrer<br />

Freizeitmöglichkeiten. <strong>Die</strong> <strong>holländische</strong> Sommerlandschaft ist<br />

dagegen um vieles zurückhaltender staffiert. <strong>Die</strong> wärmeren<br />

Jahreszeiten bezeichnen die Wachstumsphase der Natur, die<br />

mit Arbeit, d.h. mit bäuerlichen Aktivitäten, verbunden ist. Es<br />

wird auch viel gereist. Wanderer und Reisewagen verkehren<br />

auf sandigen Wegen, die sich in kurvigem Verlauf in der<br />

Tiefe des Landes verlieren. Spezifisch sommerliche Vergnügungen,<br />

etwa Badefreuden, sind dagegen nur ausnahmsweise<br />

veranschaulicht worden. Dem immer wieder dargestellten<br />

Schlittschuhläufer ist im Wechsel der Jahreszeiten kein<br />

Gegenstück zuzuordnen. Mit anderen Worten: <strong>Die</strong> Holländer<br />

des 17. Jahrhunderts dürften keine begeisterten Schwimmer<br />

gewesen sein.<br />

In der Staffierung von Winterbild und Sommerbild lebt zwar<br />

das 16. Jahrhundert mit seinen unterschiedlichen Traditionssträngen<br />

fort, aber die beiden Aufgabenbereiche sind zugleich<br />

auch aus streng wirklichkeitsbezogener Sicht aufgenommen:<br />

mehr noch im Detail als im Ganzen. Wären Badende<br />

in realiter typisch für den <strong>holländische</strong>n Sommer jener Tage<br />

gewesen, sie hätten zweifellos als Staffage in Schilderungen<br />

dieser Jahreszeit eine Rolle gespielt. Sollte das Baden damals<br />

alles andere als ein Vergnügen gewesen sein? Waren die<br />

<strong>holländische</strong>n Gewässer bzw. Sommer kälter als heute? <strong>Die</strong><br />

historische Klimaforschung bejaht diese Frage und hat für die<br />

nördliche Erdhalbkugel eine „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ konstatiert, die<br />

vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

angedauert hat. Den naturwissenschaftlichen Befund<br />

im Blick stellt sich einmal mehr die Frage nach dem Realitätsgehalt<br />

der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei, dem diese<br />

Veröffentlichung und die Ausstellung in einem neuen, interdisziplinären<br />

Ansatz nachzugehen versucht.<br />

Dem GeoForschungsZentrum Potsdam (<strong>GFZ</strong>) und dessen Vorstandsvorsitzenden<br />

Rolf Emmermann bin ich für die aktive Mitarbeit<br />

an diesem Projekt zu besonderem Dank verpflichtet.<br />

Vorwort<br />

Danken darf ich auch Franz Ossing, Referent für Öffentlichkeitsarbeit<br />

am <strong>GFZ</strong>, der das Vorhaben in spontaner Begeisterung<br />

für die fachübergreifende Kooperation zwischen Geistesund<br />

Naturwissenschaften mit initiiert und mit betreut hat. Jörg<br />

F. W. Negendank sowie Cathrin Brüchmann und Ulrike<br />

Kienel, die mit Charme und kritischem Verständnis für die<br />

Sache den Chor der Geowissenschaftler vervollständigen,<br />

haben ebenfalls mit wichtigen Beiträgen zur vorliegenden<br />

Publikation beigetragen, die zur kunsthistorischen Fragestellung<br />

nicht nur die geowissenschaftlichen Befunde bereitstellt,<br />

sondern zugleich auch Verfahrensmethoden aufzeigt.<br />

Den kunsthistorischen Part an der „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ hat<br />

dankenswerter Weise Bärbel Hedinger übernommen. Neben<br />

ihrer eigentlichen Aufgabe, der Leitung der Gemälde- und<br />

Graphikabteilung des Altonaer Museums sowie der Leitung<br />

des Jenisch Hauses in Hamburg, hat sie viel Zeit und Mühen,<br />

viel Erfahrung und Wissen in das Projekt investiert. Umsonst<br />

war ihr Einsatz nicht! Denn nach Abschluss der Berliner Phase<br />

der Ausstellung wird diese Anfang des kommenden Jahres<br />

in Hamburg zu sehen sein.<br />

Der Mann „vor Ort und letztlich für alles“ war Michael Budde,<br />

wissenschaftlicher Museumsassistent an der Gemäldegalerie.<br />

Er hat diese Veröffentlichung redaktionell bearbeitet und ist in<br />

ihr mit einem Artikel über die ausgestellten Gemälde und über<br />

Aspekte der Entwicklung des <strong>holländische</strong>n Winterbildes vertreten.<br />

Auch dem Aufbau der Ausstellung, der praktischen<br />

Seite des Vorhabens, hat er sich mit Tatkraft, ausgeprägtem<br />

Geschmacksempfinden und großem Talent für die Bewältigung<br />

organisatorischer und administrativer Aufgaben gewidmet.<br />

Hierbei haben ihn die Praktikanten Eva-Andrea<br />

Schmitt, Ulrike Sbresny, Ruth Müller und Florian Seedorf<br />

unterstützt, auch Christine Exler, Sabine Friedrich, Manfred<br />

Stahr und Peter Scheel von der Depotverwaltung der Gemäldegalerie.<br />

Für die Bereitstellung von Leihgaben für die Ausstellung<br />

bin ich privaten Sammlern zu Dank verpflichtet, ferner<br />

auch Alexander Dückers, dem Direktor des Kupferstichkabinetts<br />

der Staatlichen Museen zu Berlin. Nicht allen Kolleginnen und<br />

Kollegen, die zum Gelingen des Projektes beigetragen haben,<br />

kann hier gedankt werden. Nicht unerwähnt bleiben sollte<br />

jedoch zum Schluss die nicht unerhebliche finanzielle Zuwendung,<br />

die mit Unterstützung durch Sonja Brandt-Michael vom<br />

Lenkungsausschuss der Initiative „Wissenschaft im Dialog“ für<br />

die Drucklegung dieser Publikation zur Verfügung gestellt wurde.<br />

Jan Kelch<br />

7


Unsere Erde ist ein dynamischer Planet, der sich – angetrieben<br />

durchgroßräumige Stoff- und Energieumlagerungen in seinem<br />

Inneren und vielfältige Einwirkungen von außen – in einem<br />

ständigen Wandel befindet. Es hat sich deshalb die Erkenntnis<br />

durchgesetzt, dass wir den Lebensraum Erde nur verstehen,<br />

wenn wir die Erde als System betrachten, d.h. im<br />

Zusammenwirken aller ihrer Komponenten – der Geosphäre,<br />

der Atmosphäre, der Hydrosphäre, der Kryosphäre und der<br />

Biosphäre. <strong>Die</strong>ser Forschungsansatz wird am GeoForschungs-<br />

Zentrum Potsdam (<strong>GFZ</strong>) verfolgt.<br />

Das „System Erde“ zeichnet sich durch eine hohe Komplexität<br />

aus. Prozesse, die in und auf der Erde ablaufen, sind miteinander<br />

gekoppelt und bilden verzweigte Ursache-Wirkung-<br />

Ketten, die durch den Eingriff des Menschen in natürliche<br />

Gleichgewichte und Kreisläufe zusätzlich beeinflusst werden<br />

kön-nen. Nur eine multidisziplinäre Herangehensweise ermöglicht<br />

daher eine umfassende Einsicht in die Funktionsweise<br />

des Systems Erde.<br />

<strong>Die</strong> moderne Klimaforschung ist ein gutes Beispiel für einen<br />

derartigen fachübergreifenden Ansatz. Mit vielfältigen<br />

Methoden und durch Modellierungen versuchen Klimatologen<br />

weltweit, das Klimageschehen zu verstehen. <strong>Die</strong> Atmosphärenphysiker<br />

und Meteorologen werden dabei seit geraumer<br />

Zeit von Geowissenschaftlern unterstützt. Im geologischen<br />

Klimaarchiv von Sedimenten in kontinentalen Seen<br />

Klima und das System Erde<br />

finden sich Ablagerungen, die Aufschluss geben über die<br />

Klimageschichte und den Einfluss von Klimaänderungen auf<br />

die Umwelt während der vergangenenen hunderttausend<br />

Jahre; zugleich verfügen wir damit über hochauflösende<br />

Proxydaten zum Verständnis von kurzfristigen Klimavariationen<br />

in geschichtlicher Zeit. <strong>Die</strong> Umwandlung eines Teils der<br />

Biosphäre, hier der Algen, in Sedimentablagerung, also einen<br />

Bestandteil der Geosphäre, zeigt exemplarisch die Wechselwirkung<br />

der Subsysteme des Systems Erde. So gesehen, steht<br />

die Klimaforschung am <strong>GFZ</strong> Potsdam genau auf der Nahtstelle<br />

zwischen Geosphäre, Atmo- und Biosphäre. Unser Beitrag<br />

zur Ausstellung „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ im „Jahr der Lebenswissenschaften”<br />

2001 kann damit auch verstanden werden als<br />

Brücke zum „Jahr der Geowissenschaften“ 2002.<br />

<strong>Die</strong> Ausstellung zeigt nicht nur die engen Wechselwirkungen<br />

im System Erde. <strong>Die</strong> Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft<br />

gibt beiden Seiten Anstöße zum Verständnis unseres<br />

Lebensraums. <strong>Die</strong> historische Klimaforschung lernt aus den<br />

Gemälden wie die Kunstgeschichte aus der historischen<br />

Klimaforschung. <strong>Die</strong>ses geht selbstverständlich nicht in einer<br />

unkritischen Adaption, sondern nur im kritischen Diskurs –<br />

auch dieses ist ein Ziel der Ausstellung.<br />

Rolf Emmermann<br />

Vorstandsvorsitzender des GeoForschungsZentrums Potsdam<br />

9


Wirklichkeit und Erfindung in der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei<br />

„Ich glaube, daß alle Bilder der alten Meister, die<br />

Freilichtszenen darstellen, in Innenräumen gemalt sind,<br />

denn sie scheinen mir nicht den wahren und vor allem<br />

ursprünglichen Aspekt zu haben, den die Natur vermittelt.“<br />

Paul Cézanne an Emile Zola, Brief vom 19. Oktober 1866<br />

Seit alters verbindet sich die Vorstellung eines realistischen<br />

Landschaftsbildes mit der <strong>holländische</strong>n Malerei des 17. Jahrhunderts.<br />

Lange Zeit galten die Gemälde der van Goyen,<br />

Rembrandt, Vermeer oder Ruisdael als Paradigmen der Gattung:<br />

<strong>Die</strong> Genauigkeit der Beobachtung von Wolken, Wind<br />

und Wetter, die naturalistische Schilderung von Landschaftsund<br />

Stadtformationen sowie die Liebe zur Ausschmückung mit<br />

Details begründeten diese Einstellung ganz wesentlich. Bis<br />

heute scheint die berühmte Formulierung, die der Wiederentdecker<br />

der <strong>holländische</strong>n Malerei, Eugène Fromentin, 1876<br />

prägte, nachzuwirken, die Maler hätten nämlich des Landes<br />

„eigenes Porträt“ gemalt und ein vollendetes „Repertorium<br />

des <strong>holländische</strong>n Lebens“ hinterlassen 1 . Dass jedoch die<br />

Landschaftsgemälde nicht mit einer Bestandsaufnahme der Topographie<br />

zu verwechseln sind, hat die kunsthistorische Forschung<br />

in den letzten Jahrzehnten durch zahlreiche Studien<br />

belegt. Der vermeintliche Naturalismus oder gar Realismus<br />

der Darstellungen ist in vieler Hinsicht ein idealisierender,<br />

poetischer Realismus, der Erfahrungstatsachen mit Erfindungen<br />

überformt und künstlerisch beglaubigt. <strong>Die</strong> Frage, wie<br />

und warum sich diese Verschränkung von empirisch getreuen<br />

Einzelbeobachtungen und Strategien der ästhetisch-symbolischen<br />

Überhöhung in den einzelnen Bildern vollzieht, soll<br />

nachfolgend anhand einiger Gemälde beantwortet werden.<br />

<strong>Die</strong> <strong>holländische</strong> Landschaftsmalerei steht in der Tradition der<br />

altniederländischen und insbesondere der flämischen Malerei<br />

des 16. Jahrhunderts, deren Entwicklung in einem Zweischritt<br />

von der symbolischen Weltlandschaft eines Joachim Patenier<br />

oder Herri Bles über die Jahreszeitenbilder eines Pieter Bruegel<br />

zur <strong>holländische</strong>n Position des 17. Jahrhunderts führte.<br />

Entscheidend ist dafür der Fortschritt in der Darstellungsweise,<br />

der mit den Gemälden Bruegels einhergeht. Er verstand es,<br />

Landschaft nicht nur als beobachtete Topographie, sondern<br />

als erlebte Jahreszeit zu schildern 2 . Damit ging seine Aufmerksamkeit<br />

für atmosphärische Wettererscheinungen einher.<br />

Bruegel vermochte z.B. die dunstige Luft des Winters gegenüber<br />

anderen Wettererscheinungen deutlich zu differenzieren.<br />

Ihm gelang es, Schneefall, Herbststürme oder die sengende<br />

Hitze des Hochsommers bildlich zu vermitteln, ein Umstand,<br />

der schon seine Zeitgenossen zu dem Lob veranlasste,<br />

der Maler könne darstellen, was eigentlich gar nicht darstellbar<br />

sei. In gewissem Sinn lässt sich durchaus behaupten, mit<br />

der Kunst Bruegels sei bereits in darstellerischer Hinsicht ein<br />

Bärbel Hedinger<br />

Höhepunkt erreicht, an den die <strong>holländische</strong> Malerei des<br />

17. Jahrhundert nur mehr anschließen musste: Viele Bilderfindungen<br />

des Flamen wurden einfach fortgeführt. <strong>Die</strong> Entwicklung<br />

hin zum 17. Jahrhundert wird man demnach nicht als entscheidenden<br />

Sprung im Sinne des Fortschritts, sondern als<br />

einen Prozess zunehmender Differenzierung ansehen können.<br />

Das Fach der Landschaftsmalerei bildet sich nach und nach<br />

heraus und immer häufiger finden sich Experten für eine bestimmte<br />

Sparte des Landschaftsbildes: <strong>Die</strong> Landschaftsmalerei<br />

wird zu einer nachgefragten Gattung.<br />

Dabei geht die Tendenz zur symbolischen Überhöhung und<br />

allegorischen Durchdringung nur auf den ersten Blick verloren.<br />

Wo Bruegel noch ikonographisch explizit Bezug nimmt<br />

auf eine höhere, christliche Weltsicht, verbinden sich in der<br />

<strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei mit der Naturschilderung<br />

auch fernerhin „hintergründige Botschaften“ 3 . <strong>Die</strong> Landschaften<br />

lassen sich emblematisch und politisch 4 ansehen, sie handeln<br />

von patriotischem Stolz und religiösen Tugenden. Realistisch<br />

im Sinne der Wirklichkeitsdarstellung sind daher häufig<br />

einzelne Partien und Details, kaum je aber ist es das<br />

Gesamtbild.<br />

Das Interesse an der Darstellung der eigenen Region erwachte<br />

parallel zum wirtschaftlichen und politischen Aufschwung<br />

der jungen Republik Holland, die sich im Widerstand gegen<br />

die spanische Besatzungsmacht zum Staat der Sieben Provinzen<br />

zusammengeschlossen hatte. Für die Jahre 1609 bis<br />

1621 hatten die Holländer einen Waffenstillstand mit den<br />

Spaniern ausgehandelt. <strong>Die</strong>se zwölfjährige Phase des Friedens<br />

wurde für den Ausbau von Handel, Infrastruktur und<br />

Militär genutzt und ließ die neue Republik innerhalb weniger<br />

Jahre zur ersten Wirtschaftsmacht Europas aufsteigen. <strong>Die</strong><br />

politische, wirtschaftliche und kulturelle Freiheit prägte das<br />

nationale Selbstbewusstsein.<br />

<strong>Die</strong>sen Prozess der Verselbständigung und Selbstvergewisserung<br />

begleiten die Landschafts- und Genredarstellungen, die<br />

in den Jahrzehnten bis 1670, dem Ende des Goldenen Zeitalters,<br />

entstehen. Es galt ein Selbstbild von Land und Leuten zu<br />

entwerfen, und insbesondere der Malerei kam dieser „vaterländische<br />

<strong>Die</strong>nst“ zu. <strong>Die</strong> Erkundung der Topographie und<br />

Geographie und die kartographische Aufzeichnung dieser<br />

Kenntnisse, die zum einen aus kriegstechnischen, zum anderen<br />

aus handelsökonomischen Gründen forciert wurden, fundieren<br />

und begleiten als objektive Bestrebungen die künstlerisch<br />

subjektiven Aufzeichnungen der Maler. Auf der Suche<br />

nach dem realistischen, d.h. topographisch exakten Bild der<br />

<strong>holländische</strong>n Landschaft wird man sich eher an die reüssierenden<br />

Kartographen und Vedutenzeichner mit ihrer camera<br />

obscura-Technik zu halten haben denn an die Landschafter.<br />

Während die Geodäten mit Jacobsstab und Messketten durch<br />

die Lande zogen, visierten die Maler allenfalls mit dem<br />

11


1 Adriaen Pietersz van de Venne<br />

1589 Delft – 1662 Den Haag<br />

Der Sommer<br />

1614<br />

12<br />

Eichenholz, 44,1 x 67,1 cm<br />

Bez. Mitte unten: Av VeNNe 1614 (Av verbunden)<br />

Erworben 1874<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 741A


2 Adriaen Pietersz van de Venne<br />

1589 Delft – 1662 Den Haag<br />

Der Winter<br />

1614<br />

Eichenholz, 44,2 x 69,1 cm<br />

Bez. rechts unten: Av VeNNe 1614 (Av verbunden)<br />

Erworben 1874<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 741B<br />

13


Daumen. Kartographie und Landschaftsmalerei lassen sich insofern<br />

als zwei sehr unterschiedlich ausgeprägte Seiten einer<br />

Medaille, dem Interesse an der umgebenden zu vermessenden<br />

bzw. aufzuzeichnenden Natur, begreifen. 5<br />

Beiden Gattungen gemeinsam ist überdies die Auffassung der<br />

Landschaft als Ort und Rahmen von Geschichte. Beide Formen<br />

der Darstellung tragen vielfach patriotischen Stolz zur Schau,<br />

indem sie mit dem markanten Bild auch das Lob der Landschaft<br />

verbinden. Häufig handelt es sich bei den Gemälden<br />

weniger um topographische denn um politische Landschaften,<br />

in denen Aspekte der vaterländischen Gegenwart und Geschichte<br />

aufgehoben sind. Einige Stufen der Herausbildung<br />

und Wandlung der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei im angesprochenen<br />

Sinne repräsentieren die folgenden Gemälde.<br />

Von der Allegorie zur Landschaft<br />

In Adriaen van de Vennes (1589-1662) Gemälde „Der Winter“<br />

aus dem Jahr 1614 (Abb. 2) geht es „typisch holländisch“<br />

zu. Auf einem zugefrorenen Gewässer tummelt sich eine bunt<br />

gemischte Gesellschaft. Das Bild hält die Mitte zwischen einer<br />

Genre- und einer Landschaftsdarstellung. Jung und Alt, Bürger<br />

und Bauern geben sich auf dem spiegelglatten Eis ein Stelldichein.<br />

Bis tief in den Hintergrund zieht sich die Promenade<br />

der Eisgänger hin. Hinter kahlen Bäumen sind links und rechts<br />

am Ufer verschneite Dörfer auszumachen. Ganz im Hintergrund,<br />

fast im Zentrum, ist eine Mühle platziert. Den eigentlichen<br />

Mittelpunkt jedoch bildet im Schnittpunkt der Diagonalen<br />

ein reich beflaggter Eisschlitten unter Segeln. Kaum zufällig<br />

ragt unüberschnitten die <strong>holländische</strong> Flagge direkt über dem<br />

Horizont auf. Sie kündet als Pointe neben den zur Schau gestellten<br />

Kostümen und Trachten der Spaziergänger und Schlittschuhläufer<br />

eindeutig von dem Land, in dem die Szene spielt.<br />

Während die topographischen Angaben eher kürzelhaft ein<br />

dörfliches Irgendwo assoziieren lassen, kommt über wenige<br />

Anhaltspunkte, insbesondere über die Flagge der Republik,<br />

Holland ins Bild. Als „Superzeichen“ im Verein mit den anderen<br />

deutlich sprechenden Signalements bekrönt die Flagge<br />

das festliche Bild einer wohlhabenden Gesellschaft, die es<br />

sich leisten kann, an einem Sonntag dem Müßiggang zu frönen.<br />

Nur die Eisfischer sind im Vordergrund des Bildes bei der<br />

Arbeit. Im Blick aus dem Bild richten sich beide Stände, Bürger<br />

und Bauern, an den Betrachter.<br />

<strong>Die</strong> Landschaft dient als Kulisse; als geographische Kennzeichen<br />

fungieren die Wasserfläche, die Mühle und der hohe<br />

Himmel. <strong>Die</strong> Winterlandschaft wird bald zu einem Topos der<br />

<strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei und steht als besonderes<br />

Fach per se bereit. Der Realismus des Bildes trägt abstrakte<br />

Züge. Typisches wird auf einen Nenner gebracht, der sich in<br />

der rot/weiß/blauen Schlittenfahne sprechend zeigt. Wollte<br />

man weitergehen und eine politische Allegorie in dieser Darstellung<br />

sehen, so wäre insbesondere auf das harmonische<br />

Miteinander der Stände und auf den Wohlstand zu verweisen.<br />

Dem Winter auf dem Eis stellt van de Venne den Sommer auf<br />

dem Felde (Abb. 1) als Jahreszeitenpendant gegenüber. Als<br />

erstes fällt, gegen den Horizont gegeben, die Architektur<br />

einer Kornwindmühle am rechten Bildrand ins Auge. Am Ho-<br />

14<br />

rizont markieren Kirchturmspitzen dörfliche Siedlungen und<br />

im Mittelgrund taucht, jenseits des Flusses, der das Bild durchzieht,<br />

eine Bauernkate auf. <strong>Die</strong> vielfigurige Szene im Vordergrund<br />

spielt an einem Weiher, den eben ein Packwagen in<br />

Richtung auf den Betrachter zu durchquert. Ein Bettler hat sich<br />

dem Wagen genähert. Rings um diese Haupterzählung sind<br />

Nebenszenen rahmend angeführt; sie handeln von Jägern<br />

links und einem streitenden Paar rechts. Offenbar geht es dort<br />

um einen herabgefallenen Eierkorb, dessen Inhalt zu Bruch<br />

gegangen ist. Am Fuß der Mühle besieht ein Mann neben einem<br />

Leiterwagen die Streithähne. Eben ist ein anderer, mit<br />

einem Mehlsack bepackter Mann dabei, die Böschung herabzusteigen.<br />

Das Bild trägt ernste und komische Züge. <strong>Die</strong> Genreszenen<br />

sind in die Muldenlandschaft des Vordergrundes eingebettet<br />

und werden über Staffagefiguren bis in den Mittelgrund hinein<br />

fortgeführt. <strong>Die</strong> Szene spielt wieder in Holland, das weist<br />

in erster Linie die Mühle aus. Im übrigen lehnt sich van de Venne<br />

in seiner Komposition an eine Bildvorlage Jan Bruegels<br />

vom Ende des 16. Jahrhunderts an. 6 Auch die Übernahme des<br />

Bildmusters der Jahreszeitendarstellung ist noch ganz dem<br />

16. Jahrhundert verpflichtet. In der damaligen Vorstellungswelt<br />

spielte der Wechsel der Jahreszeiten und ihre regelmäßige<br />

Wiederkehr eine große Rolle und wurde als Symbol für<br />

den Lauf der Zeit und den Kreislauf von Werden und Vergehen<br />

verstanden. Solche Jahreszeitenallegorien waren in Malerei<br />

und Graphik noch bis ins 17. Jahrhundert hinein sehr<br />

populär. 7<br />

Aber trotz aller Rückversicherungen auf die Tradition gelingt<br />

es van de Venne, sein Landschaftspendant über die allgemeinen<br />

stilistischen Gründzüge der Komposition, die Wahl der<br />

Kostüme, die Gemeinschaft der Stände, die Nationalflagge<br />

erkennbar in der Republik Holland und in den Jahren des<br />

Waffenstillstands anzusiedeln; einen spezifischen Ort beschreibt<br />

er nicht, er begnügt sich vielmehr wieder mit einer<br />

aus Versatzstücken gefügten Landschaft: „Topoigraphie“ statt<br />

Topographie.<br />

Plausible Fiktionen<br />

Im Gegensatz zu van de Venne wandte sich der in Haarlem<br />

tätige Esaias van de Velde (um 1590/91–1630) ohne allegorische<br />

oder sonstige Umschweife direkt der <strong>holländische</strong>n<br />

Topographie zu. 1618 nahm er die am seeländischen<br />

Wattenmeer gelegene kleine Handelsstadt Zierikzee zum Vorwurf<br />

für ein Gemälde (Abb. 3).<br />

Der Blick geht über Repoussoirfiguren im Vordergrund über<br />

das Wasser auf das jenseitige Ufer und über die befestigte<br />

Stadtmauer hin zur breitgelagerten Panoramakulisse der<br />

Stadt. Als deren charakteristisches Wahrzeichen ragt der Bau<br />

der Nieuwe Kerk auf. <strong>Die</strong> Kirchenarchitektur wird geradezu<br />

übermächtig inszeniert, als solle die Stadt sich auf den allerersten<br />

Blick zu erkennen geben. Der mit der Topographie Vertraute<br />

wird links das Sint-Lievensmunstertoren, neben der<br />

Nieuwe Kirk, in der Mitte des Bildes, das Rathaus und weiter<br />

rechts die Gasthuiskerk und einige weitere Kirchen ausgemacht<br />

haben. 8


3 Esaias van de Velde<br />

Um 1590/91 Amsterdam – 1630 Den Haag<br />

Ansicht von Zierikzee<br />

1618<br />

Lw., 27 x 40 cm<br />

Bez. links unten: E.V.VELDE. 1618<br />

Erworben 1925<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 1952<br />

15


<strong>Die</strong> geschlossene Silhouette präsentiert die Stadt als Gemeinwesen.<br />

Der niedrig liegende Horizont lässt die Architektur<br />

hoch aufragen und als prägnante Vedute in Erscheinung treten.<br />

Der Maler zieht gewissermaßen eine „Heimat-Linie“ aus,<br />

die sich vor winterlichem Himmel abzeichnet. Das malerische<br />

Echo dieser Linie begegnet in abgeschwächter Form im Spiegelbild,<br />

das die ruhige Wasserfläche zurückwirft. <strong>Die</strong> aufgereihten<br />

Monumente spiegeln die weltliche und kirchliche Macht<br />

des Gemeinwesens; sie verweisen auf die Geschichte, die Errungenschaften<br />

der Baukunst und die Schönheit des Landes.<br />

Van de Velde gehört zu den Erfindern unter seinen Künstlerkollegen.<br />

Mit dem Zierikzee-Gemälde stellt er ein Bild-Schema<br />

auf, das auch weiterhin in der Landschaftsmalerei Geltung behalten<br />

wird: <strong>Die</strong> bildparallele Anlage der Komposition, die<br />

Dreiteilung des Bildraums (Fluss, Stadt, Himmel) und die Absenkung<br />

der Horizontlinie, die dem Wolkenhimmel großzügig<br />

Bildraum gewährt. Auch die Farbpalette in gedämpften Tönen,<br />

die zwischen Braun, Grün und Blau changieren, hat<br />

Schule gemacht und wurde zum Abzeichen der prosaischen,<br />

alltäglichen, ungestelzten <strong>holländische</strong>n Landschaft. 9 All dies<br />

hat dem Maler den Ruf eingetragen, der erste Realist in seinem<br />

Fach gewesen zu sein. Aber trotz der Naturnähe treten<br />

auch seine Landschaften nicht als exakte Reportagen auf: sie<br />

sind vielmehr ausbalancierte Darstellungen zwischen Tatsachenschilderung<br />

und Erfindung. 10<br />

Das Zeichnen nach der Natur wurde in zeitgenössischen Malerhandbüchern<br />

nachdrücklich empfohlen, so in Karel van<br />

Manders „Den Grondt der edel vry schilderconst“ (1603)<br />

oder Samuel van Hoogstraatens „Inleyding tot de hooge<br />

schoole der schilderconst“(1678) 11 . <strong>Die</strong> Natur zu beobachten,<br />

ihren Reichtum und ihre Vielfalt sorgsam zu studieren und mit<br />

Feder oder Kreidestift im Skizzenbuch festzuhalten, kurz,<br />

„naer het leven“ (nach dem Leben) vorzugehen, gibt Hoogstraaten<br />

der „schilderjeugt“ (dem Malernachwuchs) mit auf<br />

den Weg. 12 Inwieweit diese Skizzen später als Hilfsmittel in<br />

die Gemäldekompositionen eingegangen sind, ist allerdings<br />

ungeklärt. <strong>Die</strong> Maßgabe einer realistischen Wiedergabe der<br />

Natur war kein Qualitätsanspruch, den das 17. Jahrhundert<br />

kannte oder erhob. Den Zeitgenossen galt jenes Landschaftsgemälde<br />

als gelungen, das bloß den Eindruck erweckte, ganz<br />

und gar nach dem Leben entstanden zu sein, wobei dieser<br />

Effekt aber durchaus synthetisch herzustellen war. Der Hand,<br />

der Fertigkeit, dem Geschick und der Phantasie des Malers<br />

war es überlassen, über Motiv, Komposition, Farbe zu bestimmen,<br />

Form und Stil so festzulegen, dass jedenfalls ein der<br />

Wirklichkeit nicht widersprechendes Bild entstehen konnte.<br />

Der Maler fungiert als letzte Instanz und als Schöpfer „plausibler<br />

Fiktionen“ 13 , wie es bei Peter Sutton heißt.<br />

Gelegentlich haben sich die Künstler sogar eines „Kopierverfahrens“<br />

bedient, das hier als weiterer Hinweis auf die synthetischen<br />

Kompositionsmethoden, die in der Frühzeit der<br />

Landschaftsmalerei gang und gäbe waren, angeführt sei: so<br />

weiß man, dass Tobias Verhaecht (1561–1630) seinem<br />

Gemälde „Landschaft mit der Flucht nach Ägypten“ die<br />

1555/57 entstandene Radierung von Pieter Bruegel d.Ä.<br />

„Große Alpenlandschaft“ unterlegte und als „Vorzeichnung“<br />

für sein eigenes Bild benutzte. 14<br />

16<br />

Malerische Ausschnitte<br />

Jan van Goyen (1596–1656), bekannt für seine Seestücke<br />

und Naturschilderungen, erlangte seine größte Geltung als<br />

Maler des flachen Landes. In kleinen Bildformaten hielt er die<br />

alltäglichen, „armen“ Küstengegenden seiner Heimat in immer<br />

neuen Varianten fest, und entfaltete seine malerischen<br />

Talente bei der Wiedergabe von so unspektakulären Motiven<br />

wie Dünenketten, Sandwegen und Bauernkaten oder in fein<br />

abgestimmten Darstellungen von Himmel, Wetter und Atmosphäre.<br />

Er kann als einer der erfolgreichsten Landschafter seiner Zeit<br />

gelten, dem eine Gesamtproduktion von über 1200 Gemälden<br />

und rund 800 Zeichnungen zugeschrieben wird. 15 Seine<br />

Bilder waren relativ preiswert zu haben und wurden vom städtischen<br />

Publikum hoch geschätzt. Es gehörte zum Modeton,<br />

ein kleines <strong>holländische</strong>s Landschaftsbild zu besitzen und es<br />

im häuslichen oder auch öffentlichen Ambiente als Wandschmuck<br />

auszustellen. Derart ließ sich nicht nur Heimatliebe<br />

bekunden, sondern auch, qua Bildbetrachtung, Eigenheit und<br />

nationale Besonderheit der heimatlichen Landschaft ihrer Typologie<br />

nach studieren und einprägen. 16<br />

In der 1629 datierten „Dünenlandschaft“ (Abb. 4) sind die<br />

Grundzüge des neuen Holland-Bildes, das van Goyen in so<br />

großer Zahl entwarf, fast prototypisch ausgeprägt. Da ist<br />

zunächst das bescheidene Motiv eines Landweges, der sich<br />

durch sandiges Gelände zieht, vorbei an Bauernhütten und<br />

Baumgruppen, um sich auf der linken Seite in der Ferne zu<br />

verlieren. In diese Fahrstraße, die offenbar die Verkehrsverbindung<br />

von Dorf zu Dorf entlang der Dünenzone darstellt,<br />

mündet im Bildvordergrund rechts ein Schlängelweg ein, der<br />

aus dem Dünengelände kommt. Dort wo sich Fußweg und<br />

Fahrstraße treffen, warten einige Bauern; sie haben ihre Bündel<br />

geschultert oder tragen, wie die Bäuerin, ihre Last in einem<br />

Korb auf dem Kopf. Einer der Bauern hat sich auf den<br />

Weg gemacht und verschwindet zielstrebig auf dem Fußweg<br />

in die Dünen. <strong>Die</strong> kleine Gruppe der Wartenden steht im<br />

Schatten, während alles Licht am Fuß des Dünenanstiegs versammelt<br />

ist. Das Licht hat hier nichts anderes zur Geltung zu<br />

bringen als gelblich und ockerfarben aufleuchtenden Sand,<br />

einige Gräser und die kurvigen Furchen einer Wagenspur.<br />

„Konsequenter kann die Hinwendung zum eigenen Land und<br />

zur Landschaft kaum noch versinnbildlicht werden.“ 17<br />

Entworfen wird allerdings kein Bild von Land und Leuten, wie<br />

es der Wirklichkeit entsprochen hätte. Denn setzt man diese<br />

Landschaft ins Verhältnis zu den dynamischen Prozessen der<br />

wirtschaftlichen Entwicklung, wie sie sich zur Zeit der Bildentstehung<br />

ereigneten, so erscheint van Goyens Landschaft rückwärtsgewandt<br />

und nostalgisch. Ann Jensen Adams hat einen<br />

Zusammenhang hergestellt zwischen der ökonomischen Entwicklung<br />

des Landes, vor allem den Projekten der Landgewinnung,<br />

die an der <strong>holländische</strong>n Küste in den Jahren 1612 bis<br />

1635 aufgelegt wurden, und zu den im Gegensatz dazu archaisch,<br />

mittelalterlich anmutenden Dünenlandschaften, die<br />

van Goyen zur gleichen Zeit in Szene setzte. 18 Amsterdamer<br />

und Haarlemer Bürger hatten große Geldsummen in ein Landgewinnungsprojekt<br />

an der Küste zwischen Leiden, Haarlem


4 Jan van Goyen<br />

1596 Leiden – 1656 Den Haag<br />

Dünenlandschaft<br />

1629<br />

Eichenholz, 29 x 51 cm (oben geringfügig beschnitten)<br />

Bez. rechts unten: vG 1629<br />

Erworben 1821<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 865<br />

17


und Alkmaar gesteckt, das sich als höchst erfolgreich und ertragbringend<br />

erwies. Ein System von Kanälen, Drainagen und<br />

windmühlengetriebenen Pumpstationen diente der Trockenlegung<br />

der Poldergebiete, sorgte für Neuland und veränderte<br />

das Bild der Landschaft. Seedünen, vergleichbar jenen, die<br />

van Goyen in seinem Gemälde festhält, schützten das Land<br />

vor Überschwemmungen.<br />

<strong>Die</strong> Maler haben diese technischen Neuerungen in ihren Bildern<br />

noch nicht zur Kenntnis genommen. Ihnen und den Zeitgenossen<br />

allerdings hat diese Wirklichkeit vor Augen gestanden,<br />

die heute erst mühsam rekonstruiert werden muss. <strong>Die</strong><br />

Moderne und Gegenwart liegt allenfalls jenseits der Dünenketten,<br />

die van Goyen malt. Er propagiert als Maler die pittoreske<br />

Idylle aus verfallenden Gehöften und bäuerlicher Folklore.<br />

19 In diesen Wunschbildern einer älteren Zeit wurde die<br />

Historie bewahrt und das Geschichtsbewusstsein wach gehalten.<br />

Das städtische Publikum konnte sich in den Bildern seiner<br />

ländlichen Umgebung versichern, in einer Zeit, in der die<br />

Landschaft des alten Schlages allmählich verschwand. 20 Der<br />

Maler komponiert ein Sinnbild, geschaffen aus Versatzstücken<br />

(Bäumen, Bauern, Dünen) und spielt auf <strong>holländische</strong> Tugenden<br />

wie Anspruchslosigkeit, Bescheidenheit und Einfachheit an.<br />

Landschaft im Interieur<br />

Spätestens mit van Goyens populären Dünenstücken konnte<br />

die Gattung Landschaftsbild als eingeführt gelten. Der Anteil<br />

der Landschaften am allgemeinen Bilderhaushalt nahm kontinuierlich<br />

zu und drängte das Historienbild in der Käufergunst<br />

zurück. Wie Michael Montias für die Stadt Delft nachgewiesen<br />

hat, wuchs der Anteil der Landschaften von 25 Prozent<br />

zwischen 1610 und 1619 auf über 40 Prozent zwischen<br />

1670 und 1679 an. 21 <strong>Die</strong> Landschaften fanden als Wanddekorationen<br />

in privaten und öffentlichen Räumen Verwendung.<br />

<strong>Die</strong> Maler haben diese nationale Vorliebe für den Wandschmuck,<br />

die neben den Landschaften auch Wandkarten<br />

ebenso wie Porträts und religiöse und mythologische Szenen<br />

einschloss, in Gestalt des „Bild im Bild“-Motivs in ihre Gemälde<br />

aufgenommen. Das „eingeschriebene Bild“ ist ein <strong>holländische</strong>r<br />

Sonderfall. Dass über die Inszenierung dieser „Bilder<br />

in Bildern“ auch Kommentare in die Hauptszene getragen<br />

wurden, seien es nun moralisierende, allegorische oder politische<br />

Anspielungen, haben Untersuchungen der letzten Jahre<br />

vielfach zu Tage gefördert. 22<br />

Der Haarlemer Hendrick Gerritsz Pot (1585–1657) malt in<br />

die um 1635 entstandene „Fröhliche Gesellschaft“ (Abb. 5)<br />

eine kleine Galerie von Landschaftsbildern unterschiedlichen<br />

Formats und Themas hinein. <strong>Die</strong> malerische Qualität und die<br />

Präzision der Landschaftsmotive verwundert in einem Gemälde,<br />

das im übrigen nur die Stereotypen wiederholt, die die<br />

Bildgattung des Bordellbildes kennzeichnen - die rauchenden<br />

und zechenden Galane, die Kupplerin, die Frauen, die in<br />

ihrem Verhalten keinen Zweifel an der erotischen Eindeutigkeit<br />

der Szene lassen.<br />

Wolfgang Stechow sieht in den an der Wand auftauchenden<br />

Landschaftsgemälden vorrangig kompositorische Hilfen bei<br />

der Gliederung der Rückwand des Interieurs. 23 Aber man wird<br />

18<br />

diesen Wandschmuck auch als Kommentar zur Bildszene auffassen<br />

können. <strong>Die</strong> Bilder an der Wand sind <strong>holländische</strong><br />

Landschaften, hinter denen man Gemälde von Zeitgenossen,<br />

etwa eines van de Velde vermuten kann. 24 <strong>Die</strong> Landschaftsszenen<br />

trugen mit dem Bild der <strong>holländische</strong>n Heimat nicht<br />

nur die Außenwelt in die Innenräume hinein, sondern konnten<br />

auch als moralisierender Kommentar im lasterhaften Amüsierbetrieb<br />

gelesen werden: Schaute der trink- und amüsierfreudige<br />

junge Holländer in den unterhalb der Landschaftsgemälde<br />

gehängten Spiegel an der Wand, so würde er sich selbst<br />

erkennen, umgeben von heimatlichen Wald- und Wasserstücken,<br />

die (wieder) an die <strong>holländische</strong>n Tugenden erinnern<br />

– die Landschaft, eingesetzt als ein moralischer Zeigefinger,<br />

wie er in einem Lasterbild nicht fehlen durfte.<br />

Landschaften im Bild tauchen in der Malerei der ersten Jahrhunderthälfte<br />

bevorzugt bei der Darstellung von öffentlichen<br />

Räumen auf, allerdings nicht allein in zweifelhaften „bordeeltjes“,<br />

sondern ebenso in Gasthäusern oder „Musicos“.<br />

Letztere waren typisch <strong>holländische</strong>, weit über die Grenzen<br />

des Landes hinaus bekannte Musik- und Weinhäuser, die in<br />

den zwanziger Jahren in Mode kamen, als mit dem Wohlstand<br />

auch die Vergnügungslust wuchs. 25 Hier traf sich die<br />

bessergestellte Gesellschaft der jungen Republik zu Musik,<br />

Tanz und geselligem Beisammensein, das gelegentlich den<br />

Charakter eines Volksfestes im Saal annahm. Zum Wandschmuckrepertoire<br />

dieser vielbesuchten Orte gehörte wie<br />

selbstverständlich das Landschaftsbild, das häufig zusammengehängt<br />

war mit einer Wandkarte der Republik Holland (Abb.<br />

6). <strong>Die</strong> junge Republik, die sich feiernd zu Großveranstaltungen<br />

zusammenfand, wurde von Landschaften und Karten begleitet,<br />

die nicht nur als dekorativer Wandschmuck, sondern<br />

oft auch als politische Botschaft und Erinnerung an die Nation<br />

fungierten.<br />

Als die Malerei sich ab der Jahrhundertmitte von den öffentlichen<br />

Räumen ab- und verstärkt den privaten Interieurs zuwandte,<br />

trat auch eine Änderung der Wandschmuckmode zutage.<br />

Das kleinformatige Landschaftsbild, streng gerahmt in<br />

schwarzer Leiste, verschwand und machte der mittel- bis großformatigen<br />

Landschaft, bevorzugt in vergoldetem Rahmen,<br />

Platz; die Gesamtansicht verdrängte den Landschaftsausschnitt.<br />

Über das „Bild im Bild“ erfahren wir vom gediegenen<br />

Wohlstand, von gehobener Wohnkultur und gesteigertem<br />

Kunstgeschmack des <strong>holländische</strong>n Bürgertums (Abb. 7).


5 Hendrick Gerritsz Pot<br />

Vor 1585 Haarlem – 1657 Amsterdam<br />

Fröhliche Gesellschaft<br />

Um 1630/35<br />

Eichenholz, 36,5 x 54,6 cm<br />

Bez. in der Mitte am Schemel: HP (verbunden)<br />

Erworben 1875<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 1486<br />

19


6 Dirck Hals<br />

1591 Haarlem – 1656 Haarlem<br />

Lustige Gesellschaft<br />

Um 1630<br />

20<br />

Holz, 43 x 78,5 cm<br />

Nottingham, Art Gallery, Castle Museum


7 Gabriel Metsu<br />

1629 Leiden – 1667 Amsterdam<br />

Bildnis des Jan Jacobsz Hinlopen und seiner Familie<br />

Um 1662<br />

Lw., 72 x 79 cm<br />

Bez. links unten: G. Metsu<br />

Erworben 1832<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 792<br />

21


Hommage an Haarlem und Holland<br />

In seinem um 1670 entstandenen Gemälde „Haarlem von den<br />

Dünen im Nordwesten gesehen“ (Abb. 8) setzt Jacob van Ruisdael<br />

(1628/1629–1682) seiner Vaterstadt Haarlem ein<br />

Denkmal. Das Gemälde gehört in eine Reihe von acht weiteren<br />

Ansichten der Stadt, 26 die in die Jahre 1670 bis 1676 datiert<br />

werden, und unter der Bezeichnung „Haarlempjes“ in die<br />

Kunstgeschichte eingegangen sind. Dort werden sie als einer<br />

der Höhepunkte der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei des<br />

17. Jahrhunderts gewürdigt.<br />

Entwicklungsgeschichtlich gesehen war die <strong>holländische</strong> Malerei<br />

in den 1670er Jahren auf ihrem Kulminationspunkt angelangt,<br />

und sollte nur wenig später zunehmend unter den<br />

Einfluß der französischen Hofkunst geraten und ihre Vorrangstellung<br />

verlieren. <strong>Die</strong>sen Wendepunkt der Epoche scheint der<br />

Maler Ruisdael aufzugreifen, wenn er in seinem Haarlem-<br />

Gemälde alles an Motiven und Kompositionstechniken aufbietet,<br />

was die <strong>holländische</strong> „schilderconst“ bis dato zum<br />

Thema Landschaftsbild entwickelt hat. Da ist zunächst das Panorama,<br />

in dem sich der Wunsch nach übergreifendem Überblick<br />

artikuliert. Es folgt die ins Auge fallende, herausragende<br />

Darstellung des lokalen Gewerbes (Vordergrund), der Mühlen<br />

(Mittelgrund) und der Stadtarchitektur (Hintergrund). Der opulente<br />

Wolkenhimmel fehlt ebensowenig wie die versteckte emblematische<br />

Anspielung. Auch die Wiederholung des Themas,<br />

bei jeweils geringfügig neuer Gestaltung des Bildvordergrundes,<br />

lässt auf große Nachfrage schließen. Den angesprochenen<br />

Einzelaspekten soll im folgenden nachgegangen werden,<br />

um die These vom nationalen „Programmbild“ zu untermauern.<br />

Von dem erhöhten Standpunkt einer grasbewachsenen Düne<br />

aus eröffnet sich ein Panorama- und Fernblick von beeindruckender<br />

Vielfalt und Tiefe. Am Fuß der Dünenkette liegt das<br />

Dorf Overveen, auf dessen terrassenartig angelegten und von<br />

Bäumen und Büschen gesäumten Wiesen man lange Stoffbahnen<br />

zum Bleichen ausgelegt hat. Solche Bleichwiesen, mit<br />

angeschlossener kleiner Gewerbeansiedlung, waren ein vertrauter<br />

Anblick im Weichbild der Stadt Haarlem. Das Bleichen<br />

von einheimischem Leinen sowie von den aus England,<br />

Deutschland und den Ostsee-Anrainerstaaten importierten<br />

Baumwollstoffen war einer der wichtigsten Wirtschaftszweige<br />

der Stadt. Man machte sich das reine Quellwasser, das am<br />

Dünenrand entsprang, zunutze, um die Stoffe im Sonnenlicht<br />

zu bleichen. 27 Ruisdael schildert die weißen Stoffbahnen<br />

ebenso wie die weißgekleideten Mägde unter ihren großen<br />

Strohhüten, die zwischen den ausgelegten Tüchern ihrer Arbeit<br />

des Befeuchtens und Glättens nachgehen, mit malerischer<br />

Akribie. Er lenkt das Sonnenlicht auf eine der Bleichen, um die<br />

Produkte des örtlichen Gewerbes ins rechte Licht zu setzen.<br />

Darstellungen von Arbeit oder von Gewerbe gehörten nicht<br />

ins Repertoire der <strong>holländische</strong>n Malerei des 17. Jahrhunderts,<br />

28 so dass Ruisdaels Darstellung der Wäschebleichen zu<br />

den Ausnahmen rechnet. Er misst dem Sujet große Bedeutung<br />

zu, indem er es an zentraler Stelle in den Vordergrund rückt<br />

und darüber hinaus in seinen acht Gemäldevarianten jeweils<br />

einen anderen Ausschnitt der Bleichwiesen, der weißen<br />

Stoffe, der Arbeiterinnen im Bildvordergrund schildert.<br />

22<br />

Den Mittelgrund des Bildes nimmt eine breite Freifläche ein,<br />

ein begrüntes, von Bäumen gesäumtes Feld. Auf dem ansteigenden<br />

Gelände dahinter reihen sich sechs Bockwindmühlen,<br />

einige von ihnen mit Flügeln, die in den Wind gedreht sind.<br />

Deren Vorhandensein in größerer Zahl gibt Kunde vom tätigen,<br />

regen Handwerk und vom Florieren der Geschäfte. Hinter<br />

der Mühlenzone erhebt sich die Stadt mit ihren Wohnhäusern<br />

und Kirchen. Ihre Silhouette wird bestimmt durch den<br />

mächtigen Bau der Sint Bavo Kerk, dem sich links der Turm der<br />

Bakenesser Kirche, rechts der Nieuwen Kerk anschließt. 29 Mit<br />

den Kirchen, die die Stadtarchitektur von Haarlem prägen und<br />

dessen historische Bedeutung vor Augen stellen, und mit den<br />

Windmühlen, die als Abzeichen <strong>holländische</strong>r Identität gelten,<br />

ruft Ruisdael ein Bildschema auf, das schon Esaias van de<br />

Velde fünf Jahrzehnte zuvor zum Lob der Stadt Zierikzee entworfen<br />

hatte. Ruisdael erweitert das Schema um die Vordergrundszene.<br />

Zur mächtigen Stadt am Horizont gehört die Vorstadt,<br />

wo Gewerbefleiß und <strong>holländische</strong> Tugenden angesiedelt<br />

sind. Welchen Tätigkeiten die Bürger im entfernten<br />

Haarlem nachgehen, erfahren wir nicht, wie sie ihre Tage in<br />

Overveen gestalten, verrät uns nahsichtig der Maler. Dank<br />

der fein gemalten Binnenstruktur vermag das Auge den Wagenspuren<br />

auf dem Sandweg im Vordergrund zu folgen und<br />

der Frau mit Kind und Hündchen, die wohl eine Magd darstellt,<br />

die von der Arbeit auf den Bleichwiesen zurückkehrt.<br />

Ruisdael setzt das Motiv der weißen Tücher nicht nur um des<br />

malerischen Effektes willen ein oder um das örtliche Gewerbe<br />

zu rühmen, sondern schreibt dem Gemälde auch eine verborgene,<br />

symbolische Sinnschicht ein. Mit dem Motiv der von der<br />

Sonne gebleichten Tücher verband sich für die Zeitgenossen<br />

auch die Vorstellung von der Reinheit der Seele. Wie bei dem<br />

protestantischen Dichter Jan Luyken (1649–1712) zu lesen ist,<br />

rief das im Sonnenlicht gebleichte Leinen die Erinnerung an<br />

die „Seeligen“ wach, „die mit weißen Kleidern angetan“ (waren).<br />

30 Demnach ließen sich die weißgekleideten Staffagefiguren,<br />

die auf den Bleichen und den umgebenden Wegen<br />

unterwegs sind, auch als Hinweis auf die Reinheit und Keuschheit<br />

der Haarlemerinnen lesen. <strong>Die</strong>ser Aspekt dürfte den Käufern<br />

oder Auftraggebern des Bildes gefallen haben und die<br />

Vorzüge des Gemäldes weiter gesteigert haben.<br />

Hochgeschätzt wurde sicherlich vor allem auch die malerische<br />

Behandlung des Wolkenhimmels, die Ruisdael meisterlich beherrschte.<br />

Er räumt der Himmelszone den Großteil der Bildfläche<br />

ein, um hier ein Wolkenspektakel aus aufgetürmten<br />

Cumulus-Wolken, darüberliegenden flachen Wolken und dünnen<br />

Federwolken am Horizont zu entwerfen. Ruisdael hat<br />

eine typisch nordeuropäische Sommerwetterlage so realitätsnah<br />

festgehalten wie kein anderer Künstler seiner Zeit. 31 Der<br />

Maler nutzte den Wolkenhimmel zugleich für eine effektvolle<br />

Lichtinszenierung, die die Bleichwiesen, die Stadt, den Dom in<br />

wechselnde Hell- und Dunkelzonen taucht und das Bild mit Bewegung<br />

und Leben erfüllt.<br />

Neben den Hinweisen auf Gewerbefleiß, auf die historische<br />

Bedeutung der Stadt, auf die florierenden Geschäfte und die<br />

Sittlichkeit ihrer Bürger gehört auch der hohe Wolkenhimmel<br />

zu den Charakteristika des Gemäldes. Er überwölbt und bekrönt<br />

die „ideale Stadt“. Ruisdael knüpft am Ende des


8 Jacob Isaacsz van Ruisdael<br />

1628/29 Haarlem – 1682 Amsterdam<br />

Haarlem von den Dünen im Nordwesten gesehen<br />

Um 1670<br />

Lw., 54,1 x 66,9 cm<br />

Bez. rechts unten: JvRuisdael (JvR verbunden)<br />

Erworben 1874<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 885C<br />

23


Goldenen Jahrhunderts mit seiner gemalten Hommage an<br />

Haarlem an ein Dichterlob vom Anfang des Jahrhunderts an,<br />

in dem Karel van Mander der Schönheit der Stadt und ihrer<br />

hervorgehobenen landschaftlichen Lage ein literarisches<br />

Denkmal gesetzt hat. 32<br />

„Malerisches Wetter“<br />

Reindert Falkenburg ist systematisch der Frage nachgegangen,<br />

wie Jan van Goyen seine Gemäldevorlagen gefunden<br />

hat, ob er Wolkenstudien betrieben hat und ob in den Gemälden<br />

ein verlässliches Bild der Witterung ihrer Zeit hinterlassen<br />

wurde. Dabei zeigt sich, dass für die Wahl von Wetter und<br />

Wolkenhimmel vorrangig malerische Konventionen bestimmend<br />

waren. Als Protokolle von Naturbeobachtung können<br />

die gemalten Wolken nicht gelten. Vielmehr wurden die Bild-<br />

Wolken jeweils in Einklang gebracht mit der begleitenden<br />

Bildszene, die wiederum von künstlerischen Entwicklungen bestimmt<br />

wurde. Van Goyen hatte im Laufe der Zeit drei Modi<br />

der Wolkenmalerei ausgebildet: In Gemälden, die vor 1630<br />

entstanden und noch der älteren flämischen Tradition der Jahreszeitendarstellung<br />

verpflichtet waren, gab es eine ganze<br />

Vielzahl unterschiedlicher Wetterlagen und Wolkenhimmel, je<br />

nachdem, ob es sich um ein Sommer- oder ein Winterbild handelte.<br />

In dem Jahrzehnt zwischen 1630 und 1640 verwischten<br />

sich die Gegensätze, es kam kaum zu Unterschieden zwischen<br />

Sommer- und Winter-, gutem und schlechtem Wetter. Ein<br />

„Einheitswetter“ bestimmte die Gemälde, ohne spezifische<br />

Rücksicht oder Bezug zur handelnden Bildszene. Winterlandschaften<br />

kamen außer Mode. Ob sie als zu traditionell galten<br />

oder ob die Vernachlässigung des Themas mit einer Klimaveränderung<br />

oder dem Ende der harten Winter in Zusammenhang<br />

zu bringen ist, bleibt eine Frage. Ab den 1640er Jahren<br />

entwickelte van Goyen dann eine Vorliebe für Schlechtwetterszenen<br />

mit dunstig nebliger Atmosphäre und dramatisch<br />

aufgetürmten Wolkenbänken. Falkenburg kommt zu dem<br />

Schluss, dass nicht meteorologisch verbindliche Aussagen die<br />

Wolkendarstellungen bedingten, sondern vorrangig die Entscheidung<br />

van Goyens für „malerisches Wetter“. 33<br />

Zu ähnlichen Schlüssen wie Falkenburg kommt auch die kunstgeschichtliche<br />

Forschung, die sich in den letzten Jahren verstärkt<br />

der Frage zugewandt hat, wie die <strong>holländische</strong>n Maler<br />

ihre Vorlagen gefunden haben und ob sie Wolkenstudien betrieben<br />

haben. 34 Wolken gehören zum festen Repertoire der<br />

<strong>holländische</strong>n Landschafter, die sie einsetzen, um ihre Malerei<br />

dramatisch aufzuladen und ästhetisch zu beleben. Bei<br />

aller meteorologischen Detailtreue handelt es sich um Inszenierungen<br />

des Himmels. So neigte man in Holland dazu,<br />

Wetterlagen, die keine gesteigerten malerischen Effekte versprachen,<br />

unberücksichtigt zu lassen, einmal vorgefundene<br />

Wolkenformen ständig zu wiederholen, gelungene Wolkenkompositionen<br />

anderer Maler zu kopieren. Zwar kündigte<br />

sich gelegentlich, z.B. bei Ruisdael, vorsichtig naturwissenschaftliches<br />

Interesse an, aber noch blieb man dem Ideal der<br />

„Wolkenpoesie“ verhaftet. <strong>Die</strong> Maler folgten den ästhetischen<br />

Bildgesetzen, nicht den Naturgesetzen. Erst 150 Jahre später,<br />

24<br />

gegen Ende des 18. Jahrhunderts, beginnen die Maler den<br />

Himmel sachgemäß zu studieren, Formen und Bildungen der<br />

Wolken systematisch und genau zu erfassen und der Natur in<br />

ihren Bildern so nahe wie möglich auf die Spur zu kommen.<br />

Voraussetzung für diese neue Entwicklung war die Etablierung<br />

der Meteorologie als Wissenschaft gewesen. 35<br />

Paradox formuliert ließe sich die Frage nach Erfindung und<br />

Wirklichkeit in der <strong>holländische</strong>n Malerei so beantworten,<br />

dass man sagt, die Künstler hätten ihre Bilder realistisch erfunden.<br />

<strong>Die</strong> bloße realistische Darstellung ist ihnen erst gar nicht<br />

in den Sinn gekommen, denn es hätte ihrem Selbstverständnis<br />

nicht genügt, sich mit der Schilderung des bloß Tatsächlichen<br />

zu begnügen. Mit dem Bild der heimatlichen Landschaft stellten<br />

sie zugleich das künstlerische Vermögen der Erfindung der<br />

Wirklichkeit unter Beweis. Das Typische und Charakteristische<br />

im Verein mit dem Sinnbildlichen zielte viel mehr auf die Wiedergabe<br />

der Vorstellung als auf die Darstellung der Wirklichkeit<br />

ab.<br />

Anmerkungen<br />

* Ich danke Jürgen Müller, Hamburg, für zahlreiche Hinweise und vor allem<br />

dafür, dass er seine grundlegenden Kenntnisse zu Pieter Bruegel d.Ä.<br />

und zu den Anfängen der Landschaftsmalerei im 16. Jahrhundert ganz<br />

uneigennützig in den vorliegenden Text hat einfließen lassen.<br />

1 Zit. nach Wilfried Wiegand, Ruisdael-Studien. Ein Versuch zur Ikonologie<br />

der Landschaftsmalerei. Dissertation Hamburg 1971, S. 11.<br />

2 Zu Pieter Bruegel vgl. v.a. Jürgen Müller, Pieter Bruegel invenit. Das<br />

druckgraphische Werk. Ausst.Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg<br />

2001.<br />

3 Zu den kalkulierten Arrangements bei Pieter Bruegel vgl. Bertram Kaschek,<br />

Gottes Werk und Bruegels Beitrag. Zur Deutung der Landschaftsgraphik<br />

Pieter Bruegels d.Ä., in: Ausst.Kat. Hamburg 2001 (wie Anm. 2),<br />

S. 31ff.<br />

4 Den Begriff der „politischen Landschaft“ hat Martin Warnke eingeführt.<br />

Vgl. dazu Martin Warnke, Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der<br />

Natur. München, Wien 1992.<br />

5 Zum Verhältnis von Kartographie, Malerei und Politik vgl. auch Bärbel<br />

Hedinger, Karten in Bildern. Zur Ikonographie der Wandkarte in <strong>holländische</strong>n<br />

Interieurgemälden des 17. Jahrhunderts. Hildesheim/Zürich/<br />

New York 1986, S. 17 ff.<br />

6 Wie Jan Kelch festgestellt hat, lässt sich eine enge stilistische und motivische<br />

Verwandtschaft mit dem 1597 entstandenen Gemälde von<br />

Jan Brueghel „Szene vor einer Stadt“ in Kassel (Staatl. Gemäldegalerie)<br />

feststellen. Vgl. Katalog der ausgestellten Gemälde des 13.–18. Jahrhunderts,<br />

Gemäldegalerie Berlin-Dahlem 1975, S. 452.<br />

7 Zum Nachleben der allegorischen Themen im 17. Jahrhundert vgl. Peter<br />

Sutton: Introduction, in Ausst.Kat. Masters of the 17th Century Dutch<br />

Landscape Painting, Amsterdam 1987, S. 27.<br />

8 Für die Entschlüsselung der Topographie wurde der Katalog Berlin 1975<br />

(wie Anm. 6),herangezogen, dort S. 451.


9 Vgl. Sutton (wie Anm. 7), S. 24.<br />

10 Nicht allein auf van de Velde bezogen, sondern die <strong>holländische</strong>n Landschaftsmaler<br />

ganz generell einschließend, weist Sutton nachdrücklich<br />

darauf hin, dass <strong>holländische</strong> Landschaftsgemälde keine Porträts des Landes<br />

sind. Vgl. Sutton (wie Anm. 7), S. 1. Als jüngsten Beitrag zur Realismus-Diskussion<br />

und in die gleiche Richtung wie Sutton abzielend vgl. Thomas<br />

Ketelsen, Böhmen liegt am Meer. <strong>Die</strong> Erfindung der Landschaft um<br />

1600. Ausst.Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg 2001, S. 5.<br />

11 Samuel van Hoogstraten, Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderconst<br />

anders de zichtbaere Werelt. Rotterdam 1678, S. 135–140.<br />

12 Hoogstraten (wie Anm. 11), S. 139.<br />

13 Sutton (wie Anm. 7), S. 23.<br />

14 Vgl. zur Übernahme der Bruegel-Radierung in das Verhaecht-Gemälde<br />

Ketelsen (wie Anm. 10), S. 25.<br />

15 Vgl. Ann Jensen Adams, Competing Communities in the „Great Bog of Europe“.<br />

Identity and Seventeenth-Century Dutch Landscape Painting, in:<br />

W. J. T. Mitchell, Landscape and Power. Chicago, London 1994, S. 73,<br />

Anm. 58.<br />

16 Vgl. Adams, (wie Anm. 15), S. 58.<br />

17 Zit. nach Katalog Berlin 1975 (wie Anm. 6), S. 183.<br />

18 Vgl. Adams (wie Anm. 15), S. 58.<br />

19 Vgl. Adams (wie Anm. 15), S. 58.<br />

20 Vgl. Adams (wie Anm. 15), S. 66.<br />

21 Zit. nach Adams (wie Anm. 15), S. 40, Anm. 12.<br />

22 Vgl. dazu Hedinger, (wie Anm. 5), S. 127 ff.<br />

23 Vgl. Wolfgang Stechow, Dutch Landscape Paintings of the Seventeenth<br />

Century, Oxford 1981, S. 168 ff.<br />

24 Stechow (wie Anm. 23), S. 172.<br />

25 Zur Kulturgeschichte der Musicos vgl. auch Hedinger (wie Anm. 5),<br />

S. 40.<br />

26 Ruisdael hat wenigstens neun Haarlem-Gemälde geschaffen. Vgl. dazu<br />

Adams (wie Anm. 15), S. 58. Dort wird auch die Diskussion in der Literatur<br />

vorgestellt, die teilweise sogar von 18 Varianten des Sujets ausgeht.<br />

27 Vgl. dazu Seymour Slive, H.R. Hoetink, Jacob van Ruisdael. Ausst.Kat.<br />

Mauritshuis Den Haag, Fogg Art Museum Cambridge, 1982, S. 126.<br />

28 Vgl. zu den Arbeitsdarstellungen in der <strong>holländische</strong>n Malerei Adams<br />

(wie Anm. 15), S. 58.<br />

29 Nach Kat. Berlin (wie Anm. 6), S. 378.<br />

30 Zit. nach Kat. Berlin (wie Anm. 6), S. 378.<br />

31 Zur Wolkenmalerei bei Ruisdael vgl. den Beitrag von Franz Ossing in diesem<br />

Katalog, S. 41ff.<br />

32 Vgl. Sutton (wie Anm. 7), S. 51.<br />

33 Vgl. Reindert Falkenburg, Schilderachtig weer bij Jan van Goyen, in:<br />

Ausst.Kat. Jan van Goyen, Stedelijk Museum de Lakenhal, Leiden 1996,<br />

S. 81.<br />

34 Der Frage nach dem Realitätsgehalt der Wolken im 17. Jahrhundert sind<br />

u.a. nachgegangen Werner Busch, <strong>Die</strong> Ordnung im Flüchtigen. Wolkenstudien<br />

der Goethezeit. In: Ausst.Kat. Goethe und die Kunst, Ausstellungshalle<br />

Schirn, Frankfurt/Main, Weimar, Stuttgart 1994, S.<br />

519–527; John Walsh, Skies and Reality in Dutch Landscape, in: David<br />

Freedberg, Jan de Vries (Hg): Art in History History in Art. Studies in seventeenth<br />

century Dutch culture. Santa Monica 1991, S. 94–117.<br />

35 Vgl. Bärbel Hedinger, Wetter und Wolken. Zur Kunst- und Kulturgeschichte<br />

flüchtiger Erscheinungen. In: Schriftenreihe Forum, Kunst- und<br />

Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, Bonn 2000,<br />

Bd. 9, S. 230.<br />

25


In Philips Konincks Gemälde „Holländische Flachlandschaft“<br />

(Abb. 22) geht der Blick von erhöhtem Standpunkt aus über<br />

das <strong>holländische</strong> Tiefland. Ein großer, mehrarmiger Fluss<br />

fließt in breiten Mäandern durch die Landschaft, deren einzige<br />

Erhebung eine sandige Anhöhe im Vordergrund ist, auf<br />

der sich der Standpunkt des Beobachters befindet. Ein breiter<br />

Sandweg mit einem Fuhrwerk und einem Reiter führt das<br />

Auge in das Gemälde. <strong>Kleine</strong> Bewaldungen, langgezogene<br />

Hecken, Felder und Wiesen, einige weidende Kühe und eingebettete<br />

einzelne kleine Gehöfte weisen darauf hin, dass es<br />

sich um eine Kulturlandschaft handelt, eine Landschaft also,<br />

die vom Menschen ebenso geprägt ist wie von der Natur.<br />

<strong>Die</strong> <strong>holländische</strong> Malerei des 17. Jahrhunderts zeigt in nahezu<br />

photographischer Präzision die verschiedenen Charakteristika<br />

der niederländischen Landschaft mit ihren Wasserläufen,<br />

Wiesen, Feldern, Dünen und Küsten. Der „Realismus“ der Darstellung<br />

allerdings beruht meistens nicht auf einer linearen Abbildung<br />

der Wirklichkeit im Gemälde, sondern es handelt sich<br />

um Bildkompositionen, deren einzelne Elemente naturnah wiedergegeben<br />

sind. Damit stellt sich nicht nur die Frage, ob<br />

ein reales Stück Landschaft abgebildet ist, sondern ob die<br />

Elemente, die diese <strong>holländische</strong> Landschaft prägen, im Gemälde<br />

realistisch reproduziert werden. <strong>Die</strong>se Fragestellung<br />

ist, wie wir sehen werden, eng verbunden mit der geologischen<br />

Geschichte dieses Teils Europas. Wie entstehen diese<br />

Landschaften, die von den Meistern des Goldenen Zeitalters<br />

so perfekt in Szene gesetzt wurden?<br />

Geowissenschaftlich betrachtet stellt diese Landschaft, wie<br />

jede Landschaft überhaupt, nur ein räumliches und zeitliches<br />

Segment eines großen Kreislaufs dar, des Kreislaufs der Gesteine.<br />

Das Gesicht unserer Erde unterliegt einem ständigen<br />

Wandel. Landschaft, das heißt die Oberfläche unseres dynamischen<br />

Planeten, ist Resultat eines Prozesses, der sich aus<br />

Kräften speist, die im Erdinnern und an seiner Oberfläche wirken.<br />

Wasser, Wind und Sonne<br />

Beginnen wir unsere Analyse zunächst bei den Kräften, die an<br />

der Erdoberfläche wirken. Ein Gebirge, zum Beispiel die<br />

Alpen, wird im Laufe von Jahrmillionen durch Sonne, Wind,<br />

Wasser und Eis abgetragen. Bei Erhitzung durch Sonnenstrahlung<br />

und nachfolgender Abkühlung bilden sich Risse im<br />

Felsen. Wasser dringt in kleine Felsspalten, gefriert und<br />

sprengt dabei das Gestein auseinander. Steinschlag, Regengüsse,<br />

Lawinen und Gletscher transportieren diesen durch<br />

Verwitterung erzeugten Gesteinsschutt zu Tal (Abb. 9). Bäche<br />

und Flussläufe bewegen die Steine und Felsbrocken weiter.<br />

Von ihren Reisen nach Norwegen und den Alpenüberquerungen<br />

bei Italienreisen brachten die <strong>holländische</strong>n Landschafts-<br />

26<br />

Wie entsteht Landschaft?<br />

Franz Ossing, Jörg F. W. Negendank, Rolf Emmermann<br />

9 Wasserfall im Abfluss vom Jostedalsbren-Gletscher,<br />

Südnorwegen<br />

maler Eindrücke dieses geologischen Sachverhaltes mit, die<br />

sie in Gemälden verarbeiteten oder an ihre Kollegen aus den<br />

Malergilden weitergaben. <strong>Die</strong> Wasserfälle von Jacob van<br />

Ruisdael (Abb. 24) oder Allart van Everdingens Gebirgslandschaften<br />

mit ihren großen Felsklötzen (Abb. 25) stellen den<br />

Anfangspunkt des Gesteinstransportes vom Gebirge bis zum<br />

Meer dar, das bereits erwähnte Gemälde von Koninck den<br />

Endpunkt. Während des Transportes wird das mitgeführte Gestein<br />

weiter zerkleinert und auch abgelagert, wobei gilt: je<br />

größer die Fließgeschwindigkeit, desto größer die Felsstücke,<br />

die transportiert werden können. Wenn in Form einer Katastrophe<br />

Fels- oder Bergstürze in das menschliche Bewusstsein<br />

dringen, darf nicht vergessen werden, dass es sich hier um<br />

einen natürlichen Prozess handelt, der über Millionen von Jahren<br />

andauert. Solche katastrophal ablaufenden Erosionsprozesse<br />

eines Gebirges stellen dabei – geowissenschaftlich betrachtet<br />

– lediglich Extremereignisse dar. In der Form von<br />

Flussgeröll oder im Gesteinsmehl der grünbläulich gefärbten<br />

Gletschermilch (Abb. 10, 11) werden über Jahrmillionen hinweg<br />

ebenfalls gewaltige Mengen zu Tal und letzlich zum<br />

Meer hin transportiert.<br />

Plattentektonik und Sedimentbecken<br />

In geologischen Zeiträumen betrachtet werden also Gebirge,<br />

schließlich auch ganze Kontinente, abgetragen und der Schutt<br />

ins Meer geschwemmt. Dadurch müssten in etwa 340 Millionen<br />

Jahren die Ozeane mit dem von den Kontinenten abgetragenen<br />

Material gefüllt sein (Negendank 1981). <strong>Die</strong> ältesten<br />

Kontinentalgesteine, die wir kennen, sind aber rund vier<br />

Milliarden Jahre alt. Daraus folgt, dass neben dem Abtragungsprozess<br />

ein anderer Prozess wirken muss, der beständig


10 Gletschersee und Abflussbach vom Jostedalsbren-Gletscher,<br />

Südnorwegen. <strong>Die</strong> Blaufärbung des Wassers (Gletschermilch)<br />

stammt von Gesteinsmehl. Am Hang des durch Gletscher ausgeräumten<br />

Trogtals sind Schuttkegel von verwittertem Material<br />

zu erkennen.<br />

neues Material bereit stellt. Heute wissen wir, dass durch die<br />

Kollision von großen Lithosphärenplatten ständig neue Gebirge<br />

aufgefaltet werden. So bestehen die Gipfel der Alpen<br />

aus dem alten Boden eines längst verschwundenen Meeres<br />

(Abb. 12). Außerdem wissen wir, dass in den Ozeanen, beispielsweise<br />

im Mittelatlantik, der Meeresboden auseinander<br />

driftet und dass hier ständig heißes, geschmolzenes Gesteinsmaterial<br />

aus dem Erdmantel aufdringt. Dadurch entsteht permanent<br />

neuer Ozeanboden, wobei sich beispielsweise der<br />

Atlantik immer weiter ausdehnt. Der Antrieb für diesen Prozess<br />

liegt in der Wärmeenergie im Erdinneren, die noch vom<br />

Entstehungsprozess der Erde herrührt, aber auch durch den<br />

radioaktiven Zerfall von Elementen erzeugt wird. Durch diese<br />

Energie werden im Erdmantel gigantische Konvektionswalzen<br />

in Bewegung gesetzt, die sich an der Erdoberfläche in der<br />

horizontalen Bewegung der großen Lithosphärenplatten manifestieren.<br />

Wichtig für unsere Betrachtung des Gesteinskreislaufs in Europa<br />

ist in diesem Zusammenhang, dass sich durch den Zusammenstoß<br />

Afrikas mit Eurasien die Alpen seit etwa 80 Millionen<br />

Jahren auffalten. <strong>Die</strong>ses Gebirge liefert den Großteil<br />

des Gesteinsmaterials, das durch den Rhein bis hin zur Nordsee<br />

transportiert wird. An den Mündungen des Rheins, die<br />

übrigens nicht immer so lagen, wie wir sie heute kennen, wurde<br />

dieses Gestein, mittlerweile durch den langen Fließprozess<br />

zu Sand und Ton verarbeitet, abgelagert: das heutige <strong>holländische</strong><br />

Tiefland ist eine große Sediment-Ablagerung (Hantke<br />

1993).<br />

Quer durch das heutige Europa erstreckte sich vor 320 Millionen<br />

Jahren ein Gebirge, von dem wir nur noch Reste in<br />

Form des Rheinischen Schiefergebirges oder der Hügellandschaft<br />

der Oberpfalz finden. <strong>Die</strong>ses so genannte Variszische<br />

Gebirge wurde durch längst nicht mehr existierende Flüsse<br />

erodiert und in das Vorland transportiert, das heutige Norddeutsche<br />

Becken, eine Senke, in der das hineintransportierte<br />

Material abgelagert wurde. Derartige Sedimentbecken gibt<br />

11 See mit Gletschermilch, an gleicher Stelle weiter talabwärts.<br />

es an vielen Stellen auf der Erde. Sie haben über Zeiträume<br />

von Millionen bis zu einigen 100 Millionen von Jahren große<br />

Sedimentfrachten aufgenommen. Ihrer Entstehung entsprechend<br />

bestehen sie aus Gemischen verschiedener Minerale<br />

und organischer Substanzen, die in Wechselwirkung mit<br />

Atmosphäre, Hydrosphäre und Biosphäre abgelagert worden<br />

sind. Beispiele sind Sande, Tone, Salze und Kalkschlämme.<br />

Durch beständiges Aufschütten neuer Sedimente entstehen in<br />

größeren Erdtiefen von einigen Hunderten von Metern bis wenigen<br />

Kilometern daraus Sedimentgesteine, wie Sand-, Ton-oder<br />

Kalkstein. Sedimentbecken sind im Vergleich zur gesamten<br />

Oberfläche der Erde relativ klein, tragen aber den mit Abstand<br />

größten Teil der für die Menschheit wichtigen Ressourcen.<br />

Dazu gehören in erster Linie die fossilen Energieträger<br />

wie Erdöl und Erdgas, Steinkohle und Braunkohle, aber auch<br />

Torf. Weiterhin wird der größte Teil des für die Trinkwasserversorgung<br />

wesentlichen Grundwassers aus Sedimentgestei-<br />

12 Sedimentgestein in der Brentagruppe (italienische Alpen):<br />

die horizontal geschichteten Lagen des Monte Turrion Basso<br />

(2385 m) sind ehemaliger Meeresboden.<br />

27


nen gewonnen. Daneben sind Sedimentbecken auch Quellen<br />

für viele metallische und nichtmetallische Rohstoffe, Baustoffe,<br />

Zementrohstoffe und Düngemittel.<br />

Selbstverständlich waren diese Zusammenhänge den <strong>holländische</strong>n<br />

Meistern des Goldenen Zeitalters noch nicht bekannt.<br />

Ihre Darstellung der Landschaft Hollands jedoch bildet in Detailtreue<br />

die einzelnen Eigenschaften der Landschaft ab, die<br />

durch die oben dargestellten Prozesse geformt wurde.<br />

Das Gesicht der <strong>holländische</strong>n Landschaft<br />

<strong>Die</strong> erdgeschichtliche Gegenwart Hollands begann vor rund<br />

10.000 Jahren, am Ende der letzten Eiszeit. Das Schmelz-<br />

13 Willem Jansz Blaeu<br />

1571 Uitgeest bei Alkmaar – 1638 Amsterdam<br />

Novus XVII inferiore Germaniae provinciarum ...<br />

(<strong>Die</strong> neuen siebzehn Provinzen der Niederlande)<br />

Amsterdam, um 1630<br />

Kupferstich<br />

Staatsbibliothek zu Berlin, Kartenabteilung, Kart. K 100<br />

28<br />

wasser riesiger Gletscher floss in die Ozeane, bis in Nordamerika<br />

und Europa die großen Eisdecken abgeschmolzen<br />

waren, welche die Kontinente überdeckten. Der Meeresspiegel,<br />

der während der weltweiten Vereisungen mehr als hundert<br />

Meter unter seinem heutigen Niveau gelegen hatte, stieg<br />

über 5000 Jahre mit etwa 2 Meter pro Jahrhundert an. Das<br />

ansteigende Meer überflutete große Schelf- und Küstenbereiche,<br />

die vorher trocken lagen. <strong>Die</strong> Nordseeküste, die damals<br />

etwa im Bereich der Doggerbank lag, wanderte weiter südwärts.<br />

Großbritannien wurde vom europäischen Festland getrennt,<br />

und auch die Landbrücke zwischen Alaska und Sibirien,<br />

über die während der Eiszeit die ersten Menschen aus<br />

Asien nach Amerika eingewandert waren, wurde überflutet.


Bis heute noch wirkt das Ende der Eiszeit an den Küsten nach:<br />

weil die großen Eismassen über den Kontinenten abschmolzen,<br />

wurde der Untergrund entlastet und steigt seitdem langsam<br />

auf. Der Norden Skandinaviens hat sich seit dem Ende<br />

der letzten Eiszeit um mehr als 300 Meter gehoben. Gleichzeitig<br />

damit sank der Untergrund Norddeutschlands und<br />

Hollands ein.<br />

<strong>Die</strong>ser Prozess spiegelt sich im Küstenverlauf wider: große<br />

Teile der Nordseeküste wurden durch Sturmfluten ins Meer gerissen,<br />

die berühmteste Flut von 1362, auch die Große Mandränke<br />

genannt, brachte über 200.000 Menschen den Tod.<br />

Durch weitere große Sturmfluten wie z.B. von 1634 wurde<br />

in etwa der Küstenverlauf der Nordsee geschaffen, den wir<br />

heute kennen (Abb. 13). Eine wichtige Voraussetzung für diese<br />

Flutkatastrophen war das Absinken der Küsten infolge der<br />

Hebungs- und Senkungsvorgänge durch das Abschmelzen der<br />

Eismassen. Hinzu kommt ein Meeresspiegelanstieg von etwa<br />

20 cm pro einhundert Jahre.<br />

Land aus dem Meer: der Mensch gewinnt Land<br />

Der Anstieg des Meeresspiegels verlief nicht gleichmäßig,<br />

sondern erfolgte in mehreren Schüben bestehend jeweils aus<br />

dem Vorrücken der Küstenlinie nach Süden, einem nachfolgendem<br />

Rückzug des Meeres nach Norden und erneutem Vorstoß<br />

nach Süden. Dabei wird das Land vom Meer erodiert, es<br />

kommt zum Auswaschen von Buchten. <strong>Die</strong>ser Bedrohung<br />

durch das Meer versuchten die Küstenbewohner mit dem Bau<br />

von Warften und Deichen entgegenzuwirken. Eine Besonderheit<br />

der <strong>holländische</strong>n Landschaft stellen die Polder dar, Land,<br />

das dem Meer durch Deichbau abgerungen wurde. <strong>Die</strong> bekanntesten<br />

dieser anthropogen gewonnenen Landflächen sind<br />

die Polder im Ijsselmeer, die durch den Bau des Ijssel-Abschlussdamms<br />

gewonnen wurden (Abb. 14). <strong>Die</strong> Gewinnung<br />

solcher Landgebiete findet im Küstenraum schon seit dem<br />

11. Jahrhundert statt, im 17. Jahrhundert war daraus bereits<br />

ein fast industriell zu nennendes Verfahren geworden.<br />

<strong>Die</strong> Sicherung dieses gewonnenen Landes war eine ständige<br />

Aufgabe, wie das Bild „Wiederaufbau des Muiderdammes<br />

1651“ von Jan Asselijn (Abb. 27) zeigt. Durch die bereits seit<br />

dem 13. Jahrhundert vorliegende geschlossene Winterdeichbebauung<br />

an der friesischen Küste erhöhte sich der Wasserstau<br />

und damit der Pegel der Sturmfluten, was wiederum gewaltige<br />

Wassereinbrüche und einen veränderten Küstenverlauf<br />

mit sich brachte (Behre 1999). Nahezu alle diese<br />

katastrophalen Sturmfluten entstanden bei extremen Nordweststürmen<br />

in Zusammenhang mit Springtiden (Glaser<br />

2001), eine Konstellation, die auch heute noch die modernen<br />

Deiche bedroht und sie zum Brechen bringen kann.<br />

Doch auch wenn durch Deichbau die Küsten in menschlichen<br />

Zeitmaßstäben befestigt werden können: alle diese dem Meer<br />

abgetrutzten Landgebiete werden durch die Erosion der Küste<br />

in geologischen Zeiträumen wieder verloren gehen; auch das<br />

ist ein unvermeidliches Resultat der Prozesse im natürlichen<br />

Kreislauf der Gesteine.<br />

Inseln und Dünen, Schlick und Lehm<br />

Wir haben gesehen, dass Holland – geologisch gesehen –<br />

durch ein enges Wechselspiel von tektonischen Prozessen und<br />

Sedimentablagerung entstand. Das heutige <strong>holländische</strong> Tiefland<br />

als Teil eines großen Sedimentbeckens, das von Polen bis<br />

nach Belgien reicht, wurde vor allem durch den Rhein geschaffen,<br />

der noch heute die Schuttmassen von den Alpen bis<br />

an diesen Teil der Nordsee transportiert. <strong>Die</strong>ses Gebiet weist<br />

eine enorme landschaftliche Vielfalt auf: im Westen sind die<br />

Niederlande geprägt durch bis zu 60 Meter hohe Dünen, dieses<br />

Dünenband löst sich nach Nordosten hin in die Kette der<br />

westfriesischen Inseln auf.<br />

Zwischen Inseln und Festland liegt ein Wattenmeer (Abb. 15),<br />

südlich schließt sich eine Marschlandschaft an, die – wie das<br />

Wattenmeer – durch tonige Meeres- und Flussablagerungen<br />

entstand. Hier liegen auch die Polder, die bis zu sechs Meter<br />

unter dem Meeresspiegel liegen. Der Küstensaum ist fast über<br />

die gesamte Länge durch Dünen geprägt (Abb. 4).<br />

Im Osten des Landes finden sich eiszeitliche, durch Gletschervorstöße<br />

erzeugte Grund- und Endmoränen, die an einigen<br />

Stellen eine Heidelandschaft ausgebildet haben (Abb. 17).<br />

Der Süden der heutigen Niederlande besteht aus Schwemmland,<br />

das durch die Schmelzflüsse angehäuft wurde und das<br />

14 Der Abschlussdeich am Ijsselmeer 15 Strömungsrippel im Wattenmeer<br />

29


aus Kies und Schotter besteht, auf dem sich eine dünne<br />

Schicht von Flugsand und Löss abgelagert hat. Wie kommt es<br />

zu dieser landschaftlichen Vielgestalt?<br />

Wieder müssen wir bei der geologischen Gestaltungskraft des<br />

fließenden Wassers ansetzen. Wasser erodiert das Gestein,<br />

transportiert es fort und lagert es dabei wieder ab. Von der<br />

Fließgeschwindigkeit hängt die Größe des transportierten<br />

Gesteinsmaterials ab: je stärker die Strömung ist, desto gröber<br />

ist das mitgeschleppte Material. <strong>Die</strong> durchschnittliche<br />

Größe des zertrümmerten und zermahlenen Gesteins bestimmen<br />

die Geowissenschaftler mit der sog. Korngröße des Materials.<br />

Abhängig von der Stärke der Strömung werden Felsbrocken,<br />

Kies, Sand oder feiner, toniger Schlick abgelagert,<br />

je nach Korngröße des Stoffes (Abb. 16). Dabei verändern<br />

die Bach- und Flussläufe auf dem Weg von den Gebirgen bis<br />

zum Meer im Laufe von Jahrmillionen beständig ihre Lage. In<br />

einem sehr komplexen Wechselspiel von Meeresströmung,<br />

Flussströmung, Sedimentation und Bewuchs, beeinflusst durch<br />

Wind und Wetter, wird in flachen Flussmündungsgebieten<br />

schließlich das zerkleinerte Material angehäuft, also Landschaft<br />

gebildet.<br />

<strong>Die</strong> geringe Fließgeschwindigkeit des Rheins und anderer<br />

Wasserläufe im <strong>holländische</strong>n Tiefland hat zur Folge, dass<br />

das gröbere Gesteinsmaterial sich früh absetzt und im Mündungsgebiet<br />

vorherrschend feines Material im Wasser schwebend<br />

transportiert wird. Silt (schluffiger Feinsand) und Ton<br />

werden so im Laufe der Zeit angehäuft und bilden einen der<br />

Hauptbestandteile des küstennahen Landes auf der Binnenseite.<br />

<strong>Die</strong>ser wertvolle, fruchtbare Boden wurde schon früh in<br />

Holland viehwirtschaftlich genutzt (Abb. 28), der Getreideanbau<br />

spielte eine geringere Rolle und fand auf den Sandböden<br />

der Geest statt (Abb. 29). Hauptsächlich importierte Holland<br />

sein Getreide aus dem Ostseeraum (North, 1992). Ein Blick<br />

16 Geschätzte Fließgeschwindigkeit von Wasser, bei denen Körner<br />

unterschiedlicher Größe Erosions-, Transport- oder<br />

Sedimentationsprozessen unterliegen.<br />

30<br />

17 Heidelandschaft bei Nijverdal/Almelo, Niederlande<br />

über das <strong>holländische</strong> Flachland (Abb. 18, 23) zeigt diese<br />

Gestaltung der Landschaft durch Natur und Mensch.<br />

Jeder Holland-Urlauber schwärmt von den Dünen des Küstensaums<br />

und den vorgelagerten Inseln. <strong>Die</strong> westfriesischen Inseln<br />

18 Holländisches Tiefland bei Lemmer/Ijsselmeer. <strong>Die</strong> vorwiegend<br />

als Weideland genutzte Landschaft wird von zahlreichen Wasserläufen<br />

durchzogen.


19 Transport- und Erosionskraft des Wassers: die feinkörnigen Siltund<br />

Tonsedimente (grau) werden ausgespült und wegtransportiert,<br />

schwerere Ablagerungen wie Sand und Muscheln bleiben<br />

liegen.<br />

entstanden durch den Anstieg des Meeresspiegels nach der<br />

letzten Eiszeit und sind Relikte vorherigen Festlandes. <strong>Die</strong> heutige<br />

Küstenlinie hat sich in groben Umrissen vor etwa 3000<br />

Jahren herausgebildet. Aus einem breiten Dünen- und Strandwall<br />

bildete sich eine Inselkette, die durch das stetige Arbeiten<br />

des Meeres und des Wetters ständig verändert wurde.<br />

Zwischen den Inseln und dem Festland entstand das Wattenmeer.<br />

<strong>Die</strong> Transport-, Erosions- und Sedimentationskräfte von<br />

Wind und Wellen haben an der Trennlinie zwischen See und<br />

Land die feineren mineralischen und organischen Bestandteile<br />

des Bodens im Laufe der Zeit wegtransportiert (Abb. 19).<br />

Was übrig bleibt, ist Sand ab einer bestimmten Korngröße,<br />

der durch Strömung und Wind transportiert und aufgehäuft<br />

wird: Dünen und Strand. Das Gemälde von Philips Wouwerman<br />

(Abb. 30) zeigt einen Hohlweg durch die Dünen, in der<br />

die Charakteristik dieses geologischen Prozesses deutlich<br />

wird: auf der Düne wachsen Gras und sogar ein kleiner<br />

Baum, aber man sieht am Dünenhang abrutschende Grasbrocken<br />

im Sand, also die durch Wind und Regen stattfin-<br />

dende, beständige Erosion und Verlagerung der Düne. Dünen<br />

als Küstenschutz stellen mithin nur eine vorübergehende natürliche<br />

Befestigung dar.<br />

<strong>Die</strong> gleichen Prozesse wirken auch auf den Inseln. Hinzu<br />

kommt hier noch die abtragende Kraft des Meeres, das bei<br />

Ebbe und Flut an den Inseln nagt. Durch die vorherrschenden<br />

Westwinde und die Meeresströmung verlagern sich die westund<br />

ostfriesischen Inseln von West nach Ost, wobei einige Inseln<br />

im längeren Zeitverlauf auch völlig verschwinden oder<br />

neu gebildet werden können. <strong>Die</strong>se kontinuierlich wirkenden<br />

Kräfte von Luft und Wasser sind sehr effektiv. Unterstützt werden<br />

sie noch durch meteorologische Extremereignisse. So verschlang<br />

die St.Lucia-Sturmflut von 1287 große Teile der einst<br />

besiedelten Insel Griend, von der heute nur noch eine kleine<br />

Sandbank vor der Küste von Harlingen übrig ist. Auch die heutige<br />

Befestigung der Inseln durch Deiche und Bepflanzung<br />

kann diesen Prozess nicht vollständig anhalten, sondern nur<br />

verlangsamen (Abb. 20, 21).<br />

Landschaft – das ständig sich verändernde Gesicht der Erde<br />

Der kurze Überblick über die Prozesse, die eine Landschaft<br />

formen und verändern, zeigt die Erde als einen sich ständig<br />

verändernden Planeten. Ihr Aussehen, das für unsere menschlichen<br />

Zeitmassstäbe unveränderlich scheint, variiert beständig<br />

und tiefgreifend. „Landschaft“ ist nur ein anderer Begriff<br />

für die Landoberfläche unserer Erde, die durch Prozesse, die<br />

von innen und von außen auf sie einwirken, gestaltet und ständig<br />

verändert wird. <strong>Die</strong> Landschaft präsentiert sich dabei in<br />

einer bewunderswerten Vielfalt, welche gerade durch die<br />

<strong>holländische</strong>n Maler des „Goldenen Zeitalters“ mit akribischer<br />

Präzision wiedergegeben wird. Geowissenschaftlich betrachtet<br />

sieht man alle wichtigen landschaftlichen Strukturen<br />

Hollands in den Gemälden abgebildet. Dadurch erschließt<br />

sich vielleicht nicht immer die innere Bedeutung der Gemälde.<br />

<strong>Die</strong> alltägliche Umgebung der Menschen Hollands im<br />

17. Jahrhunderts jedoch, ihr Lebensraum und die ihn gestaltenden<br />

Prozesse, werden in den Bildern so in Szene gesetzt,<br />

dass ein Geowissenschaftler in ihnen lesen kann.<br />

20 Sandbank im Wattenmeer vor Ameland 21 Strömungshindernisse zur Befestigung des Bodens im Wattenmeer<br />

bei Holward, Niederlande<br />

31


22 Philips Koninck<br />

1619 Amsterdam – 1688 Amsterdam<br />

Holländische Flachlandschaft<br />

Um 1655/60<br />

32<br />

Lw., 93 x 168,1 cm (oben stark beschnitten)<br />

Bez. rechts unten: P.koning<br />

Erworben 1888<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 821A


23 Joris van der Haagen (zugeschrieben)<br />

Um 1615 Dordrecht – 1669 Den Haag<br />

Flachlandschaft mit Stadt in der Ferne<br />

Eichenholz, 38,1 x 52,9 cm<br />

Erworben 1867<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 810A<br />

33


24 Jacob Isaacsz van Ruisdael<br />

1628/29 Haarlem – 1682 Amsterdam<br />

Der Wasserfall<br />

Um 1675<br />

Lw., 69,5 x 54 cm<br />

Bez. rechts unten: JvRuisdael (JvR verbunden)<br />

Erworben 1858<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 899A<br />

25 Allart van Everdingen<br />

1621 Alkmaar – 1675 Amsterdam<br />

Norwegische Gebirgslandschaft<br />

Um 1665/70<br />

Lw., 115,2 x 91,3 cm<br />

Bez. rechts unten: A v Everdingen (AvE verbunden)<br />

Erworben 1864<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 887A<br />

35


26 Jan Asselijn (zugeschrieben)<br />

1615 <strong>Die</strong>ppe (?) – 1652 Amsterdam<br />

Bruch des Muiderdeiches bei Sturmflut in der Nacht auf den 5. 3. 1651<br />

Um 1651<br />

36<br />

Lw., 73,5 x 95 cm<br />

Erworben 1926<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 1991


27 Jan Asselijn<br />

1615 <strong>Die</strong>ppe (?) – 1652 Amsterdam<br />

Wiederaufbau des Muiderdeiches<br />

Um 1651<br />

Lw., 64 x 97 cm<br />

Bez. links auf der Tonne: JA (verbunden)<br />

Erworben 1958<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 58.2<br />

37


28 Adriaen van de Velde<br />

1636 Amsterdam – 1672 Amsterdam<br />

Kühe auf der Weide<br />

1658<br />

38<br />

Eichenholz, 27,5 x 22,8 cm<br />

Bez. rechts unten: A.v velde F 1658<br />

Erworben 1853<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 903A


29 Pieter Dircksz van Santvoort<br />

Um 1604/05 Amsterdam – 1635 Amsterdam (?)<br />

Landschaft mit Feldweg und Bauernhaus<br />

1625<br />

Eichenholz, 30,2 x 37,5 cm<br />

Bez. links unten: P v Santvoort 1625<br />

Erworben 1926<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 1985<br />

39


30 Philips Wouwerman<br />

1619 Haarlem – 1668 Haarlem<br />

Der Dünenweg<br />

Um 1655<br />

40<br />

Eichenholz, 35,9 x 43,8 cm<br />

Bez. links unten: PHLS W (PHLS verbunden)<br />

Erworben 1907<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 900E


Der unvollständige Himmel<br />

Zur Wolkendarstellung der <strong>holländische</strong>n Meister des 17. Jahrhunderts<br />

Jacob van Ruisdaels Abbildung seiner Heimatstadt Haarlem,<br />

gesehen von den Dünen beim Dorf Overveen im Nordwesten,<br />

geht mit Blick nach Südosten auf die große St. Bavo-Kerk,<br />

um welche die roten Dächer der Stadt in der Sonne leuchten.<br />

Am Firmament türmen sich Haufenwolken auf, einige<br />

dünne Federwolken sind am südöstlichen Horizont noch<br />

zu sehen, auch einige flache Wolken in mittlerer Höhe treiben<br />

am Himmel. <strong>Die</strong> Sonne steht fast genau im Westen, die<br />

Flügel der Windmühlen sind in den nordwestlichen Wind gerichtet.<br />

Meteorologisch gesehen deutet sich die Wettersituation so: im<br />

Laufe der Nacht hat eine Kaltfront mit Gewittern und Schauern<br />

Holland von Nordwesten her überquert und die vor ihr liegende<br />

wärmere Luft verdrängt. In der Nähe der Frontrückseite<br />

waren noch einige Cirruswolken zu beobachten, ebenso einige<br />

mittelhohe Altocumuluswolken. <strong>Die</strong> frisch eingeflossene<br />

polare Meeresluft mit guter Sicht würde binnen kurzem weiter<br />

unter Hochdruckeinfluss geraten, aber hier, an der Rückseite<br />

der Kaltfront, war die Luft noch instabil genug, um mittlere<br />

und auch einige starke Cumuluswolken zu gebären. Einige<br />

von diesen waren jetzt, am späten Nachmittag, bereits zerfallen,<br />

die Reste davon sind am oberen Bildrand zu entdecken.<br />

Der Wind hatte von südwestlichen Richtungen auf<br />

Nordwest gedreht, denn zwei der sieben Windmühlen im Bild<br />

haben noch ihre Flügel nach Südwest gedreht, während die<br />

aktiven Mühlen in die jetzt herrschende Windrichtung schauen<br />

(Abb. 8).<br />

Ein Gemäldehimmel also, der eine für Europa typische Wetterlage<br />

meteorologisch korrekt wiedergibt, ein Beleg für die<br />

exakte, detailgetreue Wiedergabe der Natur im Bild. In der<br />

Tat gab es vor den <strong>holländische</strong>n Meistern des 17. Jahrhunderts<br />

keine Landschafts- und Himmelsdarstellung, die eine derartige<br />

Realitätstreue aufweisen. Folglich füllen die Schriftwerke<br />

über den Realismus der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmaler<br />

<strong>Bibliothek</strong>en. Bereits John Constable hat 1836 in seinen<br />

Vorlesungen über Landschaftsmalerei in der „Winterlandschaft“<br />

Jacob van Ruisdaels (c. 1670, Philadelphia Museum<br />

of Art) die meteorologische Stimmigkeit des Gemäldes festgestellt<br />

(Badt 1960, Gedzelmann 1991). In neuerer Zeit rückten<br />

durch das Interesse an der Klimaveränderung die Gemälde<br />

der Meister des Goldenen Zeitalters auch in das Interesse der<br />

Klimaforscher. Lamb wies schon 1982 auf den Einfluss der<br />

„<strong>Kleine</strong>n Eiszeit“ auf die sozioökonomische Entwicklung<br />

Hollands und die damit eng verbundene Malerei hin (Lamb<br />

1987, S. 250–257).<br />

Etwa gleichzeitig begann in der Kunstgeschichte eine erneute<br />

Debatte über den Realismus der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei<br />

des 17. Jahrhunderts, in der sich schnell zeigte, dass<br />

der „Realismus“ nicht in dem Sinne missverstanden werden<br />

darf, dass die Gemälde des „Gouden Eeuw“ eine lineare Ab-<br />

Franz Ossing<br />

bildung der Natur darstellen (Freedberg/de Vries 1991). Stillleben<br />

zeigen Blumen in der Vase, die zu verschiedenen Jahreszeiten<br />

blühen, Architekturdarstellungen verschieben die optischen<br />

Linien zugunsten der Gesamtdarstellung und Landschaften<br />

stellen sich als topographische Phantasiegebilde<br />

heraus. <strong>Die</strong> Gemälde sind also eher als Bildkompositionen zu<br />

verstehen, die aus realistisch wiedergegebenen Komponenten<br />

zusammengestellt sind, deren Gesamtes aber weit mehr ist als<br />

das summarische Zusammenfügen einzelner Baustücke.<br />

Das Wetter – damals und heute<br />

Für die Wolkendarstellungen der <strong>holländische</strong>n Meister stellt<br />

sich daher die Frage, ob sie die meteorologische Wirklichkeit<br />

wiedergeben. Klimatologisch schließt sich unmittelbar die Frage<br />

an, ob „das Wetter“ im Holland des 17. Jahrhunderts vergleichbar<br />

war mit unserem heutigen. Der Beginn der „<strong>Kleine</strong>n<br />

Eiszeit“ wird im allgemeinen gegen Mitte des 16. Jahrhunderts<br />

angesetzt, ihr Ende gegen 1850 (Flohn 1993, Glaser<br />

2001). Im Vergleich zu den vorhergehenden höheren Temperaturen<br />

des mittelalterlichen Klimaoptimums sanken die Temperaturwerte<br />

in mehreren Schüben seit dem 16. Jahrhundert<br />

zwar beträchtlich ab, doch ist der Begriff „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“<br />

nicht so zu verstehen, dass das Wetter durchweg schlecht war.<br />

Allerdings ist eine spürbare Verringerung der Durchschnittstemperatur<br />

festzustellen. <strong>Die</strong> Winter waren sehr viel kälter, die<br />

Wasserflächen über lange Zeit stark vereist. Extreme Temperaturminima<br />

wurden in der Zeit zwischen 1693 und 1699 sowie<br />

1750 und 1770 registriert. <strong>Die</strong>ses im Vergleich zu heute<br />

kühlere Klima führte allerdings nicht zu einem von heute<br />

grundsätzlich verschiedenen Erscheinungsbild der Wolken,<br />

genau so, wie sich heute die gleichen Wolken in allen Klimaregionen<br />

der Welt finden, wenn auch mit unterschiedlicher<br />

Häufigkeit ihres Auftretens. Man kann also festhalten: die Maler<br />

des Goldenen Zeitalters hatten die gleichen Wolken vor<br />

Augen wie wir heute (Abb. 31).<br />

Wolken im Gemälde und in der Natur<br />

Kaum ein Naturphänomen berührt die Menschen auch heute<br />

noch so direkt wie das Wetter. Um so mehr muss die Änderung<br />

des Klimas hin zu längeren und kälteren Wintern die Menschen<br />

berührt haben, die vom Wetter noch stärker abhingen<br />

als heute. Dass die von Seefahrt und Landwirtschaft geprägte<br />

<strong>holländische</strong> Gesellschaft des 17. Jahrhunderts das Wetter als<br />

Leitthema in ihre Kultur aufnahm, ist nur folgerichtig. Damit ist<br />

dieses Phänomen der Holländischen Landschaftsmalerei natürlich<br />

noch nicht vollständig erklärt, aber ohne die Klimaverschlechterung<br />

als Hintergrund ist die Entstehung der Himmelsmalerei<br />

nicht zu verstehen (Abb. 74).<br />

41


31 Cumulus mit Fallstreifen, dichter Cirrus spissatus, Altocumulus<br />

bei Oeding/Westf., 10. 4. 1975, 18:25 Uhr.<br />

Ein solcher Himmel wird bei van Santvoort „Landschaft mit<br />

Feldweg und Bauernhaus“ dargestellt (vgl. Abb. 29).<br />

In der kunstgeschichtlichen Literatur gibt es – bei aller Breite<br />

der dort geführten Diskussion über den Realismus der Gemälde<br />

– wenig meteorologisch stichhaltiges Material. Das ist<br />

eigentlich erstaunlich, wenn man sich bewusst macht, dass in<br />

den Gemälden der Himmel bis zu drei Viertel der Bildfläche<br />

einnimmt. Maltheoretisch erschöpft sich häufig die Debatte<br />

auf den Hinweis, dass in den Illuminierbüchern und „Schilderboeken“<br />

u.a. von Karel van Mander, Samuel van Hoogstraaten,<br />

Gerard ter Brugghen und schließlich Gerard de Lairesse<br />

die Maler auf die Wichtigkeit eines gut gemalten Himmels<br />

hingewiesen wurden, wie die Natur ihn dem Auge bietet (vgl.<br />

zusammenfassend Esmeijer 1977). <strong>Die</strong> Überprüfung auf die<br />

meteorologische Exaktheit jedoch ist ein anderes Thema.<br />

<strong>Die</strong> Analyse der meteorologischen Elemente in den Gemälden<br />

steht vor dem Problem, die <strong>holländische</strong>n Himmel im doppelten<br />

Sinn zu interpretieren: wenn die Gemälde Kompositionen<br />

sind, muss erstens überprüft werden, ob das dargestellte<br />

Wetter in das Gemälde passt. Das anfangs angeführte Beispiel<br />

der Haarlemer Bleichen von Ruisdael ist meteorologisch<br />

stimmig, weil die dargestellte Wetterlage sich zum Linnenbleichen<br />

eignet. Eine Interpretation des Gemäldes als meteorologisches<br />

Stimmungsbild würde dennoch zu kurz greifen,<br />

weil beispielsweise das Linnenbleichen in seiner ikonographischen<br />

Bedeutung (Michalski 1992) dann unterschlagen würde<br />

(Abb. 32, 33).<br />

Zweitens besteht das Wetter aus einer Vielzahl verschiedener<br />

Situationen, die sich – gerade in den mittleren Breiten unseres<br />

Planeten – in einer großen Vielfalt von Wolken darstellen. <strong>Die</strong><br />

World Meteorological Organization (WMO) hat durch die<br />

Katalogisierung der Wolken versucht, diesem Umstand Rechnung<br />

zu tragen (WMO 1987). <strong>Die</strong> Gemäldewolken können<br />

meistens durch Vergleich mit der Katalogisierung nach dem<br />

Regelwerk der WMO recht gut bestimmt werden – für sich<br />

schon ein Beleg der naturgetreuen Darstellung.<br />

42<br />

Tatsächlich zeigen die Gemälde der <strong>holländische</strong>n Meister<br />

eine unglaubliche Vielfalt an Wolken und an meteorologischen<br />

Phänomenen. Dennoch zeigt bereits ein oberflächlicher<br />

Blick, dass bestimmte Wolken häufig, andere selten<br />

oder gar nicht auftauchen.<br />

Folglich findet sich in der kunstgeschichtlichen Debatte ein<br />

breites Spektrum an Positionen zum Realitätsgehalt der <strong>holländische</strong>n<br />

Gemäldewolken. <strong>Die</strong> Extrempositionen werden dabei<br />

durch zwei völlig gegensätzliche Ansichten markiert: Rostworowski<br />

(1981) auf der einen Seite sieht in der <strong>holländische</strong>n<br />

Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts den kompletten<br />

Wolkenkatalog dargestellt, der Realismus der Himmelsdarstellung<br />

wird nicht im Geringsten in Zweifel gezogen.<br />

Demgegenüber spricht Walsh (1991) der Wolkendarstellung<br />

den Realismus nahezu komplett ab, weil die Wolkenformen<br />

von den Malern den Bedürfnissen der Bildkomposition entsprechend<br />

buchstäblich hingebogen würden und weil bestimmte,<br />

für Holland typische Himmel gar nicht auftauchten.<br />

32 Aufgetürmter Cumulus, Mingerode, 23. 5. 1974, ca. 18 Uhr


33 Jacob Isaacsz van Ruisdael<br />

1628/29 Haarlem – 1682 Amsterdam<br />

Haarlem von den Dünen im Nordwesten gesehen<br />

Um 1670<br />

Lw., 33,8 x 41,2 cm<br />

Bez. rechts unten: JvRuisdael (JvR verbunden)<br />

Erworben 1873<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 885E<br />

43


Der Realismus der künstlerischen Darstellung<br />

L. de Vries (1991) hob hervor, dass der „Realismus“ in den<br />

<strong>holländische</strong>n Gemälden des 17. Jahrhunderts nicht so verstanden<br />

werden darf, dass es sich hier um eine naturidentische<br />

Wiedergabe der gemalten Gegenstände handelt. <strong>Die</strong><br />

Gemälde sind Kunstwerke, tragen also die persönliche Signatur<br />

des Malers. Hinzu kommt, dass sich im Holland des<br />

17. Jahrhunderts Schulen von Malkünstlern herausbildeten,<br />

die der individuellen Handschrift des Malers noch zusätzliche<br />

Charakteristika aufdrückten. Anhand des Beispiels von Esaias<br />

van de Velde (1590/61–1630) soll dieses erläutert werden.<br />

Es ist bekannt, dass E. van de Velde seine Gemälde gern mit<br />

mittelhohen Altocumulus- und hohen Cirruswolken ausstattete.<br />

In seiner „Ansicht von Zierikzee“ (Abb. 3) erstreckt sich ein<br />

langes Cirrus-Band diagonal über den Himmel.<br />

Der amerikanische Meteorologe Stanley Gedzelman hat in<br />

mehreren Arbeiten die Himmelsdarstellung in den <strong>holländische</strong>n<br />

Gemälden mit den für Europa typischen Wetterlagen<br />

in Verbindung gebracht (Gedzelman o.J., 1989, 1991) und<br />

erklärt diese Himmelsdarstellung bei E. van de Velde mit<br />

einem Tiefdruckgebiet, welches nördlich von Holland durchzog<br />

(Gedzelman o.J., S. 7.5). In Frontennähe sind in der Tat<br />

häufig lange Bahnen von Cirrus zu finden (Abb. 34).<br />

<strong>Die</strong>ses Werk E. van de Veldes bleibt jedoch eine Ausnahme<br />

in den Gemälden des 17. Jahrhunderts, denn ein solcher<br />

Himmel mit Cirrusfahnen als einzigem und bestimmenden<br />

Element findet sich nicht noch einmal (Gedzelman, o.J., vgl.<br />

Neumann/Ossing 1997). Auch in den späteren Werken<br />

Esaias van de Veldes sind häufig Cirren oder Cirrostratus-<br />

Schleier zu finden, aber fast stets in Verbindung mit anderen<br />

Wolken.<br />

Ebenfalls eine seltene Gemäldewolke ist ein durchgehendes<br />

Altostratus-Deck (mittelhohe Schleierwolke), das wegen seiner<br />

grau bis graublauen Färbung einen eher einheitlich gefärbten,<br />

gleichförmigen Himmel erzeugt. Pieter de Molijns<br />

„Dünenlandschaft mit Bauerngehöft“ (Abb. 36) stellt einen<br />

solchen Himmel dar. Der dichte Altostratus reisst am oberen<br />

Bildrand auf und lässt die Abendsonne durchscheinen. Am<br />

rechten Bildrand ist eine wellige Struktur angedeutet, und<br />

in der Wolkenlücke ist hohe Schleierbewölkung zu erkennen.<br />

Kompakter Altostratus kann in Europa in herangeführter subtropischer<br />

Meeresluft auftreten; die scharfen Kanten – eher<br />

uncharakteristisch für Altostratus – können bei Herannahen<br />

einer Kaltfront erscheinen, welche die wärmere maritime<br />

Subtropikluft verdrängt. Eine solche Wettersituation ist in<br />

Abb. 35 dargestellt.<br />

<strong>Die</strong>se sehr realistische Wiedergabe eines Himmels mit<br />

Schichtbewölkung ist untypisch für die <strong>holländische</strong> Landschaftsmalerei<br />

des 17. Jahrhunderts. Ein gleichförmiger Himmel<br />

bildet eher die Ausnahme, und das bezieht sich nicht nur<br />

auf den hier vorgestellten Wolkentyp.<br />

44<br />

34 Cirruswolken in der Nähe einer Front, Coesfeld/Westf.,<br />

25. 4. 1978, 08:35 Uhr<br />

35 Kompakter Altostratus mit Wogenstrukturen, Berlin,<br />

6. 1. 1988, 12:15 Uhr<br />

Cumulus: die allgegenwärtige Wolke<br />

Zu den am häufigsten dargestellten Wolken der <strong>holländische</strong>n<br />

Meister gehören Haufenwolken (Cumulus). Cumuli bilden sich<br />

üblicherweise in labil geschichteter Luft, wenn die Erwärmung<br />

des Bodens ausreicht, um ein Luftpaket soweit zu erwärmen,<br />

dass es beginnt aufzusteigen. <strong>Die</strong> „Haarlempjes“ Jacob van<br />

Ruisdaels (Abb. 8, 33) zeigen in meisterlicher Ausführung<br />

solche Wolken in einer sommerlichen Landschaft. Nahezu<br />

alle <strong>holländische</strong>n Landschaftsmaler haben Cumuli gemalt,<br />

entweder als einzige Wolkengattung am Himmel oder zusammen<br />

mit anderen Wolken.<br />

Vor allem an der Darstellung der Cumuluswolken wurde Kritik<br />

geübt (Walsh 1991, Gedzelman 1989). Cumuli haben häufig<br />

eine scharf abgegrenzte Wolkenunterkante; diese finde sich<br />

in den meisten Gemälden jedoch nicht. Zudem werde in den<br />

Gemälden der <strong>holländische</strong>n Meister häufig die Cumulus-


36 Pieter de Molijn<br />

1595 London – 1661 Haarlem<br />

Dünenlandschaft mit Bauerngehöft (Der Abend)<br />

1627<br />

Eichenholz, 32 x 43,4 cm<br />

Bez. rechts unten: PMolyn 1627 (PM verbunden)<br />

Erworben 1909<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 960B<br />

45


wolke zur Steigerung der Bilddynamik unrealistisch verbogen.<br />

Andeutungsweise ist diese Malweise noch in Salomon van<br />

Ruysdaels „Landschaft mit Bauerngehöft“ (Abb. 40) zu erkennen.<br />

<strong>Die</strong> Unterkante einer Cumuluswolke markiert das Kondensationsniveau<br />

in der Atmosphäre, d.h. das Temperaturniveau, in<br />

dem der in der Luft enthaltene Wasserdampf kondensiert. Es<br />

lässt sich tatsächlich festhalten, dass die scharf abgegrenzten<br />

Unterkanten der Cumuli häufig fehlen. Aber erstens ist das<br />

nicht immer der Fall, in Konincks „Holländischer Flachlandschaft“<br />

(Abb. 22) bilden sie das bildkompositorische Gegenstück<br />

zur horizontalstreifig angelegten Landschaft. Zum zweiten<br />

hat nicht jeder Cumulus eine solche gerade Unterkante<br />

(Abb. 37, 38).<br />

Dennoch ist festzuhalten: es gibt diese verbogenen Cumuli bei<br />

mehreren <strong>holländische</strong>n Malern, auch der Cumulus-Spezialist<br />

Jacob van Ruisdael hat in seinen frühen Werken diese Darstellung<br />

benutzt. <strong>Die</strong>ses Phänomen war auch in anderen Stilrichtungen<br />

außerhalb Hollands weit verbreitet; so hat etwa<br />

N. Poussin in der „Landschaft mit dem Evangelisten Matthäus“<br />

(1639/49, Gemäldegalerie, Berlin, Kat.Nr. 478A) eine Cumuluswolke<br />

mit einem gebogenen Schwanz gemalt.<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei des<br />

17. Jahrhunderts ist aber von einer starken Dynamik geprägt.<br />

Bei der Behandlung der Cumuluswolken lässt sich deshalb feststellen,<br />

das nach 1650 solche verbogenen Wolken kaum noch<br />

auftauchen, das maltheoretische Problem mit den geraden Unterkanten<br />

ist einer Lösung zugeführt. <strong>Die</strong> besteht in den meisten<br />

Fällen darin, dass die Wolkenuntergrenze hinter Bäumen oder<br />

Ähnlichem versteckt oder nur angedeutet wird (Abb. 41, 82).<br />

<strong>Die</strong> Cumulus-Unterkanten sind also fast komplett verschwunden,<br />

es bleiben die diffusen Untergrenzen. Ein Gemälde in<br />

der Art Jan von Goyens (Abb. 42) stellt dieses Phänomen deutlich<br />

heraus: Cumuluswolken in feuchtwarmer Luft hängen über<br />

der Landschaft, Fallstreifen aus einer Wolke heraus weisen auf<br />

beginnenden, schauerartigen Niederschlag (vgl. Abb. 39).<br />

<strong>Die</strong> Eisflächendarstellung von Aert van der Neer (Abb. 77)<br />

zeigt rechts flachere, links stark quellende Cumulusbewölkung.<br />

Für einen späten Winternachmittag ist das eher ungewöhnlich,<br />

wenn auch nicht unmöglich: Cumuli entstehen meistens<br />

durch aufsteigende Luftpakete, die sich vorher am Boden<br />

erwärmt haben. Das ist aber für die dargestellte Situation unwahrscheinlich:<br />

bei nachlassender Strahlungskraft kann auch<br />

im späten Winter die Sonne den Boden gegen Abend kaum<br />

noch soweit erwärmen, dass sich stark quellende Cumuli entwickeln,<br />

eher ist durch die Abkühlung zu erwarten, dass sich<br />

in der Nähe der Eisflächen Nebel bildet.<br />

Demgegenüber kann sich im Sommer nachts durchaus dieser<br />

Bewölkungstyp entwickeln (Abb. 43). Der Boden kann aufgrund<br />

seiner Wärmespeicherkapazität auch nach Sonnenuntergang<br />

noch zu Cumulusentwicklung beitragen.<br />

46<br />

37 Cumuli mit scharfen Unterkanten, Friedrichskoog, 13. 9. 1986,<br />

14:05 Uhr<br />

38 Cumulus mit diffuser Unterkante, Berlin, 9. 6. 1974, 19:17 Uhr<br />

39 Großer Cumulus bei Neustadt/Holst. <strong>Die</strong> beginnende Niederschlagsbildung<br />

zeigt sich im Fallstreifen knapp rechts von der<br />

Bildmitte. 27. 8. 1978, 12:30 Uhr


40 Salomon Jacobsz van Ruysdael<br />

1600/03 Naarden – 1670 Haarlem<br />

Landschaft mit Bauerngehöft<br />

1631<br />

Eichenholz, 68,5 x 105,5 cm<br />

Bez.links unten: S.v.Ruysdael 1631<br />

Erworben 1880<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 901C<br />

47


41 Jacob Isaacsz van Ruisdael<br />

1628/29 Haarlem – 1682 Amsterdam<br />

Eichen an einem See mit Wasserrosen<br />

Um 1665<br />

48<br />

Lw., 1196 x 143,7 cm<br />

Bez. unten rechts: JvRuisdael (JvR verbunden)<br />

Erworben 1891<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 885G


42 Art des Jan van Goyen<br />

Hügelige Landschaft<br />

Holz, 39,4 x 50,7 cm<br />

Erworben 1916<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 1782<br />

49


43 Aert van der Neer<br />

1603/04 Amsterdam – 1677 Amsterdam<br />

Flusslandschaft im Mondschein<br />

50<br />

Eichenholz, 24,1 x 39,7 cm<br />

Bez. links unten: AV DN ( jeweils verbunden)<br />

Erworben 1874<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 842C


Was fehlt am Himmel?<br />

<strong>Die</strong> Feststellung, dass der Himmel der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmaler<br />

keine vollständige Wiedergabe des Wetters ist,<br />

bedarf einer genaueren Differenzierung. Zunächst ist Rostworowski<br />

(1981) zuzustimmen, der Himmel über den <strong>holländische</strong>n<br />

Landschaftsgemälden gibt die Hauptwolkenarten (von<br />

denen die WMO zehn angibt) alle wieder, wenn auch mit unterschiedlichen<br />

Gewichtungen. Zugleich ist aber auch festzuhalten,<br />

dass damit nicht die Gesamtheit der Himmelserscheinung<br />

„Wolken“ wiedergegeben ist.<br />

Walsh (1991) stellt fest, dass der typische <strong>holländische</strong> Himmel<br />

aus Nieselregen, Schauern, dicken Wolken und Nebel bestehe,<br />

dieses aber in den Bildern nicht auftauche. <strong>Die</strong>se<br />

sicherlich durch das sonnige Kalifornien geprägte Sichtweise<br />

beinhaltet den wahren Kern, dass meistens gutes Wetter, selten<br />

schlechtes Wetter dargestellt wird, und wenn schlechtes<br />

Wetter, dann solches, das sich gerade aufklärt. Ein Beispiel<br />

dafür ist Jan Asselijns „Bruch des Muiderdeiches“ (Abb. 26),<br />

in dem nach der Sturmflut der vergangenen Nacht der Himmel<br />

aufreißt. <strong>Die</strong> Wettersituation entspricht dem Durchzug der<br />

Fronten eines Sturmtiefs, zur rechten Bildseite hin ist noch<br />

dunkle, starke Schauerbewölkung (entweder ein großer<br />

Cumulus oder ein Cumulonimbus) zu erkennen. Stratusfetzen<br />

und zerrissene Stratocumuluswolken am Himmel und die beiden<br />

auf dem Deich sich gegen den Wind stemmenden Männer<br />

zeugen vom heftigen und turbulenten Wind.<br />

Einen Himmel mit Schauerbewölkung bietet auch Wouwermans<br />

„Dünenweg“ (Abb. 30). Aus einem großen Cumulus fällt<br />

ein starker Schauer, ein angedeuteter Böenkragen am unteren<br />

Rand dieser Wolke erstreckt sich nach rechts hin. Einige<br />

Cumulusfetzen sind ebenfalls zu erkennen und deuten auf<br />

starken Wind.<br />

Andererseits wird der langweilige Anblick einer winterlichen<br />

Hochnebeldecke, die ein gleichförmiges Grau bieten würde,<br />

in Dramatik umgesetzt durch das Aufreißen dieser Wolkendecke<br />

(Abb. 1). Wind setzt ein und zerreißt den grauen Himmel,<br />

über der grauen Decke wird helle, von der Sonne beschienene<br />

Stratocumulusbewölkung sichtbar.<br />

Der Himmel wird also von den Malern zur Schaffung von<br />

Stimmung im Bild bewusst eingesetzt, wie dies auch die<br />

„Schilderboeken“ einfordern. Ohne den Himmel bliebe das<br />

Landschaftsbild ausdrucksarm, der Himmel ist die „Seele der<br />

Landschaft“ (Gedzelman, o.J.).<br />

Dennoch: bei aller Vielfalt der Himmel über den <strong>holländische</strong>n<br />

Landschaften des 17. Jahrhunderts bleibt festzustellen, dass<br />

bestimmte Himmel nicht oder sehr selten auftauchen. Dazu<br />

gehören, wie oben dargestellt, lange Cirren, scharfe und gerade<br />

Wolkenunterkanten, aber auch gleichförmige Schichtwolken.<br />

Woher kommt dieser Mangel? <strong>Die</strong> Maler des „Gouden Eeuw“<br />

hatten dieselben Wolken vor den Augen wie wir heute, die<br />

„<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ führte nicht zu einem völlig unterschiedlichen<br />

Himmelsbild. Es liegt nahe, andere als meteorologische<br />

Gründe für die selektive Wolkenmalerei zu suchen.<br />

Es herrscht Einverständnis, dass die Meister des 17. Jahrhunderts<br />

sehr genaue Beobachter der Natur waren. Sie werden<br />

also die nicht, oder selten, gemalten Wolken in der realen<br />

Natur, der sichtbaren Welt, sehr wohl wahrgenommen haben.<br />

Es liegt daher nahe, die Erklärung in der Gestaltung der<br />

Gemälde zu suchen: Wolken beherrschen zwar stets den Himmel,<br />

aber es sind Wolken, keine Wolkenstrukturen.<br />

In der Natur ist die gerade Linie außerhalb kristalliner Gebilde<br />

die Ausnahme. Sie ist daher dort ein Blickfänger. Ähnliches<br />

gilt für flächige Muster. <strong>Die</strong> meistens nicht gemalte,<br />

scharf abgegrenzte und fast geradlinige Basis von Cumuluswolken<br />

ist ein Himmelselement, welches das Auge auf sich<br />

zieht (vgl. Abb. 37). Eine lange Cirrusfahne bei sonst<br />

wolkenlosem und blauem Himmel prägt dem Firmament eine<br />

Struktur auf (Abb. 44). Das gleiche gilt für die häufig am Himmel<br />

zu sehenden Wogenstrukturen in der stets rastlosen<br />

Atmosphäre (Abb. 45). Auch repetitive, flächenhafte Muster<br />

lenken das Auge auf sich (Abb. 46). Wellenförmige Strömung<br />

in der Atmosphäre führt häufig zu Linsenwolken (Abb. 47).<br />

Und schließlich gibt es keine Wolke, die den Himmel so<br />

dominiert wie ein Gewitter mit seinen optisch auffälligen Begleitwolken<br />

(Abb. 48, 49).<br />

Es liegt daher auf der Hand, diese ins Auge stechenden<br />

Strukturen am Himmel auszuschließen, da sie die Aufmerksamkeit<br />

vom Bildgeschehen wegführen würden oder der<br />

Bildkomposition eine eigene, dominante Struktur aufprägen<br />

würden.<br />

Aber auch das genaue Gegenteil ist der Fall: die Landregenwolke<br />

Nimbostratus oder eine Decke aus Stratocumulus (die<br />

häufigste Wolke der gemäßigten Breiten) treten in den Szenerien<br />

ebenfalls nicht auf. Das obige Argument gilt hier umgekehrt:<br />

der Himmel dient im Bild zur Aufbau von Dramatik, sehr<br />

häufig wird daher das Aufreißen des Himmels nach einem<br />

Schauer, nach Durchzug einer Front o.ä. dargestellt. Ein uniformer<br />

Stratus- oder Nimbostratushimmel mit gleichmäßigem<br />

Nieselregen kann also zum Bildgeschehen nicht viel beitragen.<br />

Bildkomposition und Massengeschmack<br />

Es ist anzunehmen, dass ein weiterer Aspekt die Auswahl der<br />

Gemäldewolken beeinflusst hat. Erstmals in der Geschichte ist<br />

mit der <strong>holländische</strong>n Malerei des 17. Jahrhunderts die Kunst<br />

in ein fast nur durch den Markt bestimmtes Verhältnis von Käufer<br />

und Produzent getreten. Der soziokulturelle Hintergrund<br />

dafür lässt sich knapp so umreisen: um 1640 bestand die<br />

<strong>holländische</strong> Marine aus insgesamt etwa 35.000 Fahrzeugen,<br />

gegen 1650 besaß Holland die größte Handelsflotte der<br />

damaligen Welt, seine Kriegsflotte war doppelt so stark wie<br />

die englische und französische zusammen. <strong>Die</strong> politische Be-<br />

51


44 Cirrusfahnen, Gescher/Westf.,<br />

19. 10. 1999, 11:55 Uhr<br />

45 Wogenstrukturen, Gescher/Westf.,<br />

3. 3. 1997, 10:10 Uhr<br />

46 Flächige Muster, Coesfeld-Stockum/Westf.,<br />

7. 3. 1997, 17:35 Uhr<br />

52<br />

47 Lenticularis-Wolke, nördlich von Braunschweig,<br />

23. 12. 1985, 13:15 Uhr<br />

48 Gewitter-Amboss, Hopewell Cape, Kanada,<br />

2. 8. 1991, 16:40 Uhr<br />

49 Mammatus-Ausprägungen bei einem Gewitter, Potsdam,<br />

17. 8. 2000, 14:50 Uhr


sonderheit im Holland des 17. Jahrhunderts bestand darin,<br />

dass im Gegensatz zu seinen feudal geprägten Hauptkonkurrenten<br />

die Großmacht Holland keinen Herrscher besaß,<br />

der alle staatlichen Kompetenzen in seiner Person vereinigt.<br />

Vielmehr standen sich hier Ständeparteien, welche die Autonomie<br />

der Provinzen betonten, und die Oranier, welche eine<br />

Stärkung des Absolutismus anstrebten, gegenüber, ohne dass<br />

es ein eindeutiges Machtzentrum gab. Eine solche Konstellation<br />

ermöglichte das Entstehen einer Oligarchie reicher Bürger,<br />

Adliger, Kaufleute und Großbauern (Schulze 1994, S. 82ff),<br />

die sich ganz selbstverständlich zur Präsentation ihres Wohlstandes<br />

mit Kunstgegenständen umgaben. <strong>Die</strong>se Attitüde<br />

strahlte weit in die ärmeren Gesellschaftsschichten aus. Für<br />

die niederländischen Bürger war der Besitz von Gemälden so<br />

selbstverständlich wie der Besitz von Möbeln (Zumthor 1992,<br />

S.218–223). Kurzum: in fast jedem <strong>holländische</strong>n Haushalt<br />

hingen Bilder.<br />

Massenkultur bildet einen Massengeschmack heraus. North<br />

(1992) konnte nachweisen, dass ab Mitte des 17. Jahrhunderts<br />

Landschaftsdarstellungen einen Großteil der nachgefragten<br />

Malproduktion bestimmte. Damit ist, neben bildkompositorischen<br />

Gründen, die Himmelsdarstellung auch durch<br />

den Markt determiniert. Experimente sind nur in begrenztem<br />

Für Francesca, Valentina und Elena<br />

Rahmen möglich, wenn die Käufer die Ware vorbestimmen.<br />

Auch dieses wird ein Grund für das Vorherrschen bestimmter,<br />

und die Randexistenz anderer Gemäldewolken sein.<br />

Bleibt die schiere Zahl: nach van der Woude (1991) sind in<br />

der Zeit zwischen 1580 und 1800 zwischen acht und zehn<br />

Millionen Gemälde angefertigt worden. Ein Forschungsprojekt<br />

der Universität Amsterdam geht davon aus, dass um 1650<br />

die Gildemaler eine Jahresproduktion von rd. 70.000 Bildern<br />

auf den Markt warfen (Frijhoff/Spies 1999). Von dieser gewaltigen<br />

Bildermenge haben weniger als 1% überlebt und befinden<br />

sich heute in Museen und Sammlungen (van der Woude,<br />

a.a.O., North 1992). Es wäre aufgrund der riesigen<br />

Anzahl gemalter Bilder nicht erstaunlich, wenn die Himmelsdarstellungen<br />

auch solche Phänomene aufgenommen hätten,<br />

die wir hier als kaum oder nicht vorhanden aufgeführt haben.<br />

<strong>Die</strong> zu klärende Frage wäre, ob solche Bilder mit der Vielzahl<br />

der nicht mehr existierenden Gemälde verschwunden sind<br />

oder ob auch die heute in den Sammlungen hängenden Bilder<br />

diese meteorologische Vielfalt widerspiegeln. Eine solche Bestandsaufnahme<br />

sollte allerdings vor dem Hintergrund einer<br />

meteorologisch fundierten Interpretation europäischen Wetters<br />

der mittleren Breiten und seiner Wiedergabe in den<br />

Gemälden stattfinden.<br />

53


50 Ludolf Backhuysen<br />

1630 Emden – 1708 Amsterdam<br />

Stürmische See an bergiger Küste<br />

54<br />

Lw., 89 x 136,5 cm<br />

Erworben 1835<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 888


<strong>Die</strong> „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ und ihre Abbildung im Klimaarchiv Binnensee<br />

Der auch St. Antonius-Deich genannte Muiderdeich brach<br />

während einer Sturmflut in der Nacht vom 4./5. März 1651.<br />

<strong>Die</strong>ser Deichbruch und die folgenden Wiederaufbauarbeiten<br />

wurden von Jan Asselijn in mindestens drei Gemälden dargestellt,<br />

von denen sich zwei in Berlin, eines in Schwerin befinden<br />

(Abb. 26, 27). <strong>Die</strong>ses Sturmflut-Ereignis muss, auch wegen<br />

der damit verbundenen teilweisen Überschwemmung Amsterdams,<br />

beträchtliche Aufmerksamkeit erregt haben. Dafür<br />

sprechen auch die in Gottschalk (1977, Pl. 5–6) wiedergegebenen<br />

Zeichnungen des Zeitgenossen W. Schellinckx’. In der<br />

Tat ist das Besondere daran, dass der Muiderdeich ein Binnendeich<br />

ist, der Amsterdams Ostseite vor der Zuiderzee<br />

schützen sollte. Infolge einer Springflut war die Zuiderzee<br />

hoch gefüllt. <strong>Die</strong> Sturmflut vom März 1651 mit nordwestlichen<br />

Windrichtungen muss den nördlich von Amsterdam gelegenen<br />

Ij und die Zuiderzee so stark aufgepeitscht haben, dass das<br />

östlich von Amsterdam gelegene Deichbauwerk bei ablandigem<br />

Wind brach.<br />

Übereinstimmend berichten Gottschalk (1977, p.161–176)<br />

und Glaser (2001, 152–154) davon, dass 1650/51 eine<br />

sehr regenreiche Periode war, die in Europa weitverbreitet zu<br />

Flussüberschwemmungen geführt hat. Zusammen mit dem hohen<br />

Niederschlag, der zu einer Aufweichung des Deiches geführt<br />

haben kann und der Belastung des Dammes durch die<br />

Sturmflut wäre hier ein mögliches Erklärungsmuster für den<br />

Deichbruch gefunden, das sich mit der Wetterverschlechterung<br />

gut deckt, die mit Einsetzen der so genannten „<strong>Kleine</strong>n<br />

Eiszeit“ etwa hundert Jahre vorher begann.<br />

Was verstehen wir unter „<strong>Kleine</strong>r Eiszeit“?<br />

Unter „<strong>Kleine</strong>r Eiszeit“ wird in der Umgangssprache eine Periode<br />

kälterer Temperaturen, vor allem in den Wintermonaten,<br />

etwa zwischen 1550 und etwa 1800 verstanden. Dabei ist<br />

der Sprachgebrauch deutlich unterschiedlich und umfasst z. T.<br />

auch frühere und spätere Zeiträume, wie die Pfeile in Abb. 51<br />

andeuten. In diesem Aufsatz wird mit „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ die<br />

Zeitperiode zwischen 1500 und 1800 bezeichnet, wie<br />

Abb. 51 unter Hinzuziehung der beiden solaren Strahlungs-<br />

Minima Spörer- und Maunder-Mininum darstellt. (Abb. 52,<br />

nach Glaser 2001) zeigt den detaillierten Temperaturverlauf<br />

dieser Periode, der ab ca. 1800 das moderne Klimaoptimum<br />

folgt, in dem wir leben. Aus dem geglätteten Temperaturverlauf<br />

lässt sich ableiten, dass sich der Terminus „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“<br />

auf die Temperaturdepression zwischen Mittelalterlichem<br />

Wärmeoptimum und Übergangsphase sowie Modernem Klimaoptimum<br />

bezieht. <strong>Die</strong> nachweisbaren Temperaturänderungen<br />

bewegen sich dabei in der Größenordnung von nicht<br />

ganz 1,5 °C.<br />

Jörg F. W. Negendank, Cathrin Brüchmann und Ulrike Kienel<br />

Zum Vergleich sei an dieser Stelle die Temperaturänderung<br />

aufgeführt, die im Rahmen der anthropogen beeinflussten Klimaentwicklung<br />

diskutiert wird: Man geht heute unter der Annahme<br />

einer Verdoppelung des CO 2-Gehaltes der Atmosphäre<br />

von einer globalen Temperaturerhöhung von 1,5 bis 2,5 °C<br />

aus. <strong>Die</strong>se als globale Mittel prognostizierten Werte werden<br />

in ihrer regionalen Ausprägung jeweils sehr unterschiedlich<br />

ausfallen. Sie können daher nicht mehr als ein grober Orientierungswert<br />

sein. <strong>Die</strong> Temperaturentwicklung der letzten<br />

1000 Jahre entspricht interessanterweise in etwa diesem<br />

Wertebereich, d. h. zumindest für die verhaltenen Schätzungen<br />

von 1,5 °C liegen wir heute im Bereich natürlicher<br />

Schwankungen in Mitteleuropa (Glaser 2001).<br />

51 Der Klimaverlauf der letzten 1000 Jahre nach Beobachtungen<br />

der Winterstrenge in Paris und London. Man erkennt das<br />

Mittelalterliche Klimaoptimum, die „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“, eine mögliche<br />

Korrelation mit den durch kosmische Strahlung verursachten<br />

∆ 14 C-Werten, die in Baumringen dokumentiert wurden,<br />

und die derzeitige Erwärmung. Zusätzlich sind die Sonnenfleckenaktivitätsmuster<br />

eingetragen (nach National Research<br />

Council, 1994).<br />

52 Jahresgang der Temperatur in Mitteleuropa für die letzten<br />

1000 Jahre (Glaser, 2001), mittelfristiger Verlauf aus jährlichen<br />

Angaben (31 Jahre-Filter), schwarz: Gleitender Mittelwert<br />

(Gaußscher Tiefpaßfilter)<br />

warm<br />

kalt<br />

55


<strong>Die</strong> Einbettung der „<strong>Kleine</strong>n Eiszeit“<br />

in die erdgeschichtliche Klimaentwicklung<br />

Der Terminus „Eiszeit“ wird im geologischen Sinn für die Phasen<br />

der Bildung polarer Eiskappen generell verwandt, wie sie<br />

in Abb. 53 für die Entwicklung der nordhemisphärischen Vereisung<br />

seit 21.000 Jahren dargestellt ist. Damit leben wir heute,<br />

geologisch gesehen, in einer Eiszeit. Der Ausdruck „<strong>Kleine</strong><br />

Eiszeit“ darf also nicht mit einer Eiszeit verwechselt werden,<br />

er ist nur für normale Temperatureinbrüche innerhalb einer<br />

Warmzeit zulässig. Der Wechsel Treibhaus – Eishaus (Warmphase<br />

– Kaltphase) bedeutet Pole ohne und Pole mit Eiskappen.<br />

Warm- und Kaltzeiten treten innerhalb einer Kaltphase<br />

(Eiszeit) auf, indem in der Warmzeit nur die unmittelbaren Polregionen<br />

vereist sind, während sich in Kaltzeiten auf der<br />

Nordhalbkugel die Inlandgletscher z. B. in Mitteleuropa bis<br />

50° N nach Süden ausbreiten.<br />

Mit der seit 2,7 Millionen Jahren währenden Vereisung beider<br />

Polkappen befindet sich unsere Erde in ihrer Geschichte in<br />

einer besonderen Situation. Zuvor war nur der Südpol vereist,<br />

eine Folge der Isolation des antarktischen Kontinents von dem<br />

Wärmeaustauscher Ozean.<br />

<strong>Die</strong> Vereisung der Polkappen stellt jedoch kein einmaliges Ereignis<br />

während der Erdgeschichte dar, hat die Erde doch seit<br />

600 Millionen Jahren vier Warm- und vier Kaltphasen (Treibhaus,<br />

Eishaus) durchlaufen. In der letzteren leben wir; diese<br />

als 4. Eiszeit bezeichnete Phase begann vor etwa 55 Millionen<br />

Jahren. Klimageschichtlich interessant ist, dass in der Erdgeschichte<br />

Kontinentalverschiebungen (Plattentektonik und<br />

Ozeanbodenspaltung), Gebirgsbildungen, Vereisungen der<br />

Pole und Hochgebirge sowie Meeresspiegelschwankungen<br />

miteinander gekoppelt waren und sind.<br />

Innerhalb der letzten circa 900.000 Jahre lässt sich ein fast<br />

regelmäßiger Klimawechsel in geologischen Archiven beobachten<br />

(8 Warm- und 8 Kaltzeiten), und zwar mit einer Periode<br />

von ca. 110.000 Jahren – in der Weise, dass auf eine<br />

Warmzeit von 15.000 bis 20.000 Jahren eine Kaltzeit von<br />

ca. 80.000 Jahren folgte. In dieser Zeit haben sich auf der<br />

Nordhalbkugel bei 65° N immer wieder Gletscher gebildet.<br />

<strong>Die</strong>se Zeitabschnitte hatte der jugoslawische Geowissen-<br />

56<br />

schaftler Milancovi˘c aus seinen Berechnungen als Bereiche<br />

besonderer solarer Strahlungsdefizite identifiziert. Moderne<br />

Untersuchungen in verschiedensten geologischen Archiven<br />

und astronomische Berechnungen haben die Vermutung bestätigt,<br />

dass sich dieSonneneinstrahlung periodisch durch die<br />

Veränderung der Exzentrizität der Erdbahn (100.000 Jahre<br />

Periode), der Neigung der Erdachse (41.000 Jahre Periode)<br />

und der Präzessionsbewegung der Erde (Kegel) (19.000 bis<br />

21.000 Jahre Periode) ändert, was bei Einstrahlungsminima<br />

zu Gletscherbildungen und somit zu Kaltzeiten führt. Bei Strahlungsgunst<br />

– wie wir das heute in unserer Zeit erleben – entsteht<br />

eine sogenannte Warmzeit.<br />

Seit ca. 11.660 Jahren leben wir in einer solchen Warmzeit,<br />

in der die Temperatur- und somit Klimaschwankungen bei weitem<br />

nicht so gravierend sind, wie im Übergang zwischen der<br />

Warm- und der Kaltzeit. Während der Kaltzeit lag die mitt-<br />

21 ka 10 ka 0 ka<br />

53 <strong>Die</strong> Eisverbreitung auf der Nordhemisphäre seit 21.000 Jahren (ka = eintausend Jahre)<br />

lere Jahrestemperatur in Europa um etwa 7 °C niedriger als<br />

heute.<br />

Jedoch gab es auch in der Warmzeit Variationen und Sprünge.<br />

So ist z. B. nachgewiesen, dass vor 8.200 Jahren ein<br />

deutlicher Temperatureinbruch stattfand. Betrachtet man die<br />

aus dem Eis Grönlands ermittelte relative Temperaturverlaufskurve<br />

der letzten 2.400 Jahre, so sind auffällige Schwankungen<br />

zu erkennen (Abb. 54). Zu römischer Zeit war es deutlich<br />

wärmer als heute, wie sich das auch aus den Gletschervorstößen<br />

in den Alpen ableiten lässt (Abb. 55). Weitere Klimaschwankungen<br />

werden als Mittelalterliches Klimaoptimum und<br />

„<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ bezeichnet, die sich deutlich im Gesamtverlauf<br />

der relativen Temperaturkurve abbilden. Seit römischer<br />

Zeit fällt die Temperaturkurve bis in die Zeit der <strong>Kleine</strong>n Eiszeit<br />

(der absoluten Minimumzeit) ab, um danach im 19. und<br />

20. Jahrhundert bis zum heutigen Wert anzusteigen. Dabei<br />

hat der heutige Wert noch nicht die Temperaturen der römischen<br />

Zeit erreicht.<br />

Mit Beginn der „<strong>Kleine</strong>n Eiszeit“, soviel kann hier festgehalten<br />

werden, wurden die Winter im Durchschnitt länger und kälter;<br />

in den Gemälden der <strong>holländische</strong>n Maler spiegelt sich das<br />

in Winterlandschaften und Eisflächendarstellungen wider<br />

(vgl. Abb. 69ff).


54 Der Temperaturverlauf aus<br />

Eiskernen Grönlands<br />

(nach Muller & McDonald, 2000),<br />

(BC: Before Christ, AD: Anno Domini)<br />

55 Vorstoß- und Rückzugsphasen der Zunge<br />

des Großen Aletschgletschers während der<br />

letzten 3200 Jahre (Wanner et al., 2000)<br />

im Vergleich zum Temperaturverlauf der<br />

letzten 1000 Jahre (Abb. 51 und 54),<br />

(LIATE = Little Ice Age Type Events). yBP:<br />

years Before Present (Jahre vor<br />

heute, d. h. vor 1950)<br />

AD: Anno Domini<br />

warm<br />

kalt<br />

57


Kurzfristige Klimaschwankungen<br />

Im Vergleich zu den langperiodischen Klimazyklen der großen<br />

Eiszeiten sind Klimaschwankungen wie das Römische oder<br />

das Mittelalterliche Klimaoptimum und auch die „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“<br />

sehr kurzfristige Klimafluktuationen. Hier stellt sich also<br />

die Frage: Was verursacht solche kurzfristigen Klimaschwankungen?<br />

Eine weitere Frage drängt sich auf: Ist der heute apostrophierte<br />

Temperaturanstieg, speziell seit 1970, durch den Menschen<br />

verursacht? Hierzu kann man verschiedene Überlegungen<br />

anstellen.<br />

In geowissenschaftlichen Archiven sind neben den oben benannten<br />

langfristigen Milancovi˘c-Zyklen (100.000 Jahre,<br />

41.000 Jahre, 19.000 bis 23.000 Jahre) auch kürzerfristige,<br />

so genannte Sub-Milancovi˘c-Periodizitäten erkennbar, denen<br />

wahrscheinlich andere Ursachen als die Erdachsenneigung,<br />

Exzentrizität und Präzession der Erdbahn zugrunde liegen.<br />

<strong>Die</strong>se Periodizitäten scheinen wegen ihrer kurzen Frequenzen<br />

auf solare Strahlungsfluktuationen zu verweisen.<br />

Vergleicht man den Verlauf der Klimakurve mit der Sonnenfleckenaktivitätskurve,<br />

dann fällt das Minimum der „<strong>Kleine</strong>n<br />

Eiszeit“ mit dem sog. Maunder-Minimum, der minimalen<br />

Sonnenfleckenaktivitätszeit, zusammen (vgl. Abb. 51). Ähnliche<br />

Übereinstimmungen ergeben sich für Spörer- und Dalton-<br />

Minimum. Ist dieser Beleg auch nur statistischer Natur, so<br />

verweisen die Muster der kosmogenen Isotope 14 C und 10 Be<br />

auf eine klare Beziehung zur Aktivität des Solarwindes<br />

(Abb. 56).<br />

Ein weiterer Hinweis wird nun in unseren kontinentalen geologischen<br />

Archiven über die Reaktion der Flora auf die<br />

Schwankungen der Sonnenstrahlung gegeben. Speziell in Binnenseen<br />

ist eine deutliche Saisonalität der Planktonentwicklung<br />

mit ausgeprägten Algenblüten zu beobachten. <strong>Die</strong> Überreste<br />

dieser Diatomeen genannten Kieselalgen sinken nach<br />

der Blüte zum Seeboden und bilden zusammen mit anderem<br />

organischen und nichtorganischen Material eine Jahreslage<br />

(= Warve, Abb. 57), die aus mehreren Lagen, z. T. Jahreszeitenlagen<br />

besteht (Negendank et al. 1997). Anhand der<br />

Dicken dieser Jahresdiatomeenlagen erkennt man periodische<br />

Wechsel, die mit Hilfe komplexer, nichtlinearer mathematischer<br />

Zeitreihenanalysen Periodizitäten von 11, 22, 88, 210<br />

und 550 Jahren ergeben – Werte, die das Aktivitätsmuster der<br />

Sonnenfleckenaktivität nachzeichnen, ein statistischer Hinweis<br />

auf Beziehungen, deren physikalischer Mechanismus bisher<br />

unbekannt ist (Vos et al., 1997; Negendank et al.<br />

1997).<br />

Damit sind solche Algen sensible Organismen, die auf Gesamtstrahlungsänderungen<br />

reagieren und deshalb als Klima-<br />

Indikatoren dienen können.<br />

<strong>Die</strong> Variabilität des Klimas an einem Ort ist aber durch die<br />

Faktoren der internen Variabilität des Klimasystems, den<br />

natürlichen und anthropogenen Treibhausgasen und den oben<br />

erwähnten Antriebsmechanismen und ihrer Interferenz bestimmt.<br />

Verschiedenste Modellsimulationen für die letzten<br />

zweitausend Jahre kommen zu dem Ergebnis, dass bis etwa<br />

58<br />

1800 das Klima vor allem solar bestimmt wurde, von 1800<br />

bis etwa 1880 solar und vulkanogen, ab 1880 solar und anthropogen.<br />

Klimaarchiv Binnensee<br />

Zu den wichtigsten Arbeitsgebieten der Klimaforschung des<br />

GeoForschungsZentrums Potsdam (<strong>GFZ</strong>) gehört die Untersuchung<br />

jahreszeitlich geschichteter Sedimente aus Maarseen in<br />

verschiedensten Vulkangebieten der Erde (Deutschland, Italien,<br />

Frankreich, Israel, China etc.). <strong>Die</strong> heute wassergefüllten<br />

Vulkankrater (Maarseen) sind durch spezielle magmatische<br />

Eruptionen, nämlich Wasserdampfexplosionen, vor etwa<br />

70.000 bis 40.000 Jahren entstanden (Büchel, 1993). Durch<br />

die besondere Morphologie der Krater sind die Seen im Verhältnis<br />

zu ihrer Oberfläche sehr tief. Material, das vom Land<br />

eingetragen wird und im See entstandenes Material, z. B. organische<br />

Produktion von höheren und niederen Wasserpflanzen<br />

(Algen) und Tieren (Wasserflöhe, Mücken etc.), kommen<br />

nahezu störungsfrei zur Ablagerung am Seegrund. Dort<br />

herrscht aufgrund der Wassertiefe Sauerstoffarmut, die eine<br />

Besiedlung durch Bodenbewohner unmöglich macht. <strong>Die</strong> sedimentierten<br />

Lagen werden also nicht zerstört. Ereignisse wie<br />

die Frühjahrsblüte der Kieselalgen (Diatomeen), der Kalkfällung<br />

im Sommer, die Diatomeenherbstblüte und die winterlichen<br />

Ablagerungen von sehr feinkörnigem Material sind in<br />

ihrer Abfolge mikroskopisch und makroskopisch sichtbar und<br />

werden als die Ablagerung eines Jahres (Warve) zusammengefasst.<br />

Durch Zählen dieser Warven ist die Datierung der Sedimente<br />

möglich, d. h. der genaue Zeitpunkt der Entstehung<br />

einer Warve kann rekonstruiert werden (vgl. Abb. 57).<br />

Durch Herausstechen einer Säule aus diesem Sediment entweder<br />

mit einem Hohlrohr oder einem Stechschwert gewinnt<br />

man einen Sediment-Bohrkern, aus dessen Untersuchung die<br />

Ablagerungen zeitlich qualitativ und quantitativ bestimmt werden<br />

können. Ein solcher Sediment-Kern, der 1999 nahe dem<br />

Zentrum des Holzmaars (HZM 41/42 in Abb. 58) erbohrt<br />

wurde, umfasst beispielsweise Ablagerungen der letzten<br />

1000 Jahre. <strong>Die</strong> zeitliche Einordnung erfolgt durch Zählen<br />

der Warven unter dem Mikroskop. <strong>Die</strong>se Lagen sind im obersten<br />

(= jüngsten) Bereich im Schnitt 2 bis 3 mm dick. Mit zunehmender<br />

Sedimenttiefe, also zunehmendem Alter, nimmt<br />

deren Mächtigkeit infolge des Zusammendrückens durch die<br />

Auflast ab (Abb. 59, 60).<br />

<strong>Die</strong> einzelnen Jahreslagen bestehen hauptsächlich aus Diatomeen.<br />

Für die Bestimmung und Zählung der Diatomeen wurden<br />

aus dem Bohrkernmaterial Proben entnommen, die jeweils<br />

vertikal 0,5 cm des Sediments umfassen. Nach der spezifischen<br />

Aufbereitung für die Analyse konnten die Diatomeen<br />

unter dem Lichtmikroskop bei 1000-facher Vergrößerung bestimmt<br />

werden. Zählungen von mindestens 500 Algenschalen<br />

(sog. Valven) pro Probe ermöglichten die Einschätzung der<br />

prozentualen Zusammensetzung der Diatomeenvergesellschaftung.<br />

<strong>Die</strong>se ist summarisch in Abb. 61 für jede Probe, bezogen<br />

auf deren Alter, dargestellt.


56 Solarstrahlung und 14 C- und 10 Be-Isotopenverlauf<br />

(nach Lean & Rind, 1999)<br />

57 Jahreszeitlich geschichtete (= warvierte) Sedimente<br />

im Meerfelder Maar (Eifel), Dickenvariation der<br />

Warven, Dünnschliffaufnahme, Aufbau im Rasterelektronenmikroskop:<br />

in den feinen Streifen sind<br />

Veränderungen von Jahr zu Jahr und sogar der<br />

Wechsel der 5 Jahreszeiten dokumentiert. Unter<br />

dem Mikroskop zeigen sich feingeschichtete Lagen<br />

von Algenblüten.<br />

59


58 Lokation Holzmaar;<br />

a) Lage des Holzmaares; b) Tiefenlinien und Bohrlokation<br />

59 Bohrkampagne im Maarsee Lago Grande die Monticchio<br />

(Monte Vulture, Süditalien)<br />

60 Foto einer Schlammsäule, die aus einem Maarsee gezogen<br />

wurde. Zur zerstörungsfreien Bergung einer solchen<br />

geschichteten Probe wird das Material beim Stechen im<br />

Seeboden tiefgefroren.<br />

60<br />

Algenspezies und „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“<br />

<strong>Die</strong> besonderen klimatischen Bedingungen der nordhemisphärischen<br />

Abkühlung schafften die Voraussetzungen für das<br />

vermehrte Erscheinen einer speziellen Algenart. Untersuchungen<br />

im Holzmaar/Eifel zeigten, dass nur in der Zeit von 1285<br />

(Ende des Großen Maximums des Mittelalterlichen Klimaoptimums)<br />

bis 1850 die Diatomeenart Aulacoseira subarctica<br />

auftrat. Hinsichtlich ihrer ökologischen Ansprüche wird sie in<br />

der Bestimmungsliteratur (Krammer & Lange-Bertalot, 1991)<br />

wie folgt beschrieben:<br />

<strong>Die</strong> Kieselalge Aulacoseira subarctica ist eine häufige Diatomeenart<br />

nordisch-alpiner Teiche, Seen und langsam strömender<br />

Flüsse. Sie hat geringe bis mäßige Ansprüche an den<br />

Nährstoffgehalt des Gewässers. Mehrere Untersuchungen an<br />

dieser Art in verschiedenen Seen ergaben weitere Charakteristika:<br />

Aulacoseira subarctica ist an eingeschränkte Lichtverhältnisse<br />

angepasst. Erste Zellneubildungen sind deshalb bereits<br />

früh im Jahr, bzw. noch unter der tauenden winterlichen<br />

Eisbedeckung möglich. Als Spätwinter-Blüher gibt daher<br />

diese Algenart über ihr Wachstum Auskunft über die Umweltbedingungen<br />

insbesondere zu Winterende/Frühjahrsanfang.<br />

Zur Photosynthese ist es nötig, dass die Algen nahe der Oberfläche<br />

im Wasser schweben. <strong>Die</strong> Zellen von Aulacoseira subarctica<br />

leben über Verbindungsdornen aneinandergeheftet in<br />

Ketten (Abb. 62). Dadurch ist das Oberfläche/Masse-Verhältnis,<br />

und damit der Auftrieb, vergrößert und das Schweben in<br />

der Wassersäule besser möglich. Unterstützend wirken leichte<br />

Turbulenzen im Wasser. <strong>Die</strong>se können insbesondere durch<br />

den Einfluss zunehmender Windstärke, wie sie z. B. bei Frühjahrsstürmen<br />

auftreten, erzeugt werden.<br />

Eine Recherche zum heutigen Vorkommen der Art ergab die in<br />

Abb. 63 dargestellten Nachweise, die, bezogen auf die<br />

Nordhalbkugel, entweder nördlich 50° N, in alpinen Seen<br />

oberhalb 800 m ü. NN oder im Winterplankton von Seen<br />

gemäßigter Breiten liegen.<br />

Aus den Untersuchungen der Sedimentabfolge im Holzmaar<br />

haben sich folgende Indizien ergeben, die als Reaktionen auf<br />

phasenhaft kühlere Bedingungen in Verbindung mit der „<strong>Kleine</strong>n<br />

Eiszeit“ gewertet werden:<br />

– zum Teil massenhaftes Vorkommen der nordisch-alpinen, an<br />

eingeschränkte Lichtzufuhr angepasste Diatomee Aulacoseira<br />

subarctica,<br />

– sprunghafte Veränderungen in der Menge der insgesamt im<br />

Sediment gefundenen Diatomeenvalven,<br />

– sprunghafte Veränderungen der Häufigkeiten der dominierenden<br />

Diatomeenarten.


61 Entwicklung der Diatomeenflora und der Nährstoffverfügbarkeit während der letzten 1000 Jahre<br />

im Holzmaar (Eifel), rekonstruiert aus Sedimentkernen<br />

62 Algenart Aulacoseira subarctica (O. Müller) Haworth 1988. <strong>Die</strong> Zellen leben über Verbindungsdornen<br />

an den Gehäusen (Frusteln) aneinandergeheftet in Form von Ketten.<br />

P a c i f i c O c e a n<br />

w<br />

a<br />

w<br />

Verbindungsdornen<br />

A t l a n t i c O c e a n<br />

Seen in denen heute Aulacoseira subarctica nachgewiesen ist:<br />

Seen nördlich 50° N<br />

Seengebiete nördlich 50° N<br />

a alpine Seen oberhalb 800 m ü. NN<br />

w Seen gemäßigter Breiten, in denen Aulacoseira subarctica nur im Winterplankton auftritt<br />

Indian Ocean<br />

63 Häufige Verbreitung von Aulacoseira subarctica in Seen der Nordhalbkugel<br />

a/w<br />

a<br />

61


Windrichtung und Klima<br />

Das Auftreten der Kieselalge Aulacoseira subarctica gibt uns,<br />

wie oben dargestellt, einen Hinweis auf niedrige Temperaturen,<br />

eingeschränkte Sonnenstrahlung und erhöhte Windgeschwindigkeiten.<br />

Auch in den Gemälden der <strong>holländische</strong>n<br />

Meister findet sich das Klimaelement Wind wieder. Holland<br />

liegt im Westwindgürtel unseres Planeten. Besonders in<br />

Küstennähe und in windexponierten Lagen sind häufig Bäume<br />

und Sträucher zu beobachten, die sich – dem ständig wehenden<br />

Wind folgend – verformt haben. <strong>Die</strong>se so genannten<br />

„Windflüchter“ sind auf dem Gemälde „Holländische Landschaft<br />

mit Raubzug“ von Salomon van Ruysdael (Abb. 66)<br />

markant dargestellt. Der Klimaparameter „Wind“ hat hier der<br />

Landschaft deutlich seinen Stempel aufgesetzt, die Bäume und<br />

Sträucher sind nach rechts gekippt, der Hauptwindrichtung<br />

entsprechend.<br />

Interessant ist weiterhin der Baum im Vordergrund, dessen<br />

nach links oben weisender Stamm abgebrochen ist – offensichtlich<br />

Windbruch. Ikonographisch werden solche Bäume,<br />

die u.a. auch bei Ruisdael und Hobbema auftauchen, als Vanitassymbol<br />

interpretiert. Windbruch als Zeichen für Vergänglichkeit<br />

eines Symbols der Stärke, i.e. eines Baumes lässt sich<br />

leicht erklären mit der Zunahme von Starkwinden und Stürmen<br />

im Gefolge der „<strong>Kleine</strong>n Eiszeit“.<br />

64 Schematischer Aufbau der Diatomeenschale oder Frustel<br />

65 Schematischer Aufbau einer Warve im Sediment des<br />

Holzmaars (nach Rein, 1996)<br />

62<br />

Glossar<br />

Diatomeen: Diatomeen sind einzellige Algen im Größenbereich<br />

von wenigen µm bis 2 mm, deren Zellwand im wesentlichen<br />

aus Siliziumdioxid besteht. <strong>Die</strong>se Diatomeenschalen<br />

nennt man Frusteln (Abb. 64). Sie bestehen aus zwei unterschiedlich<br />

großen Teilen, die schachtelförmig oder wie Deckel<br />

und Boden einer Petrischale aufeinandergesetzt erscheinen.<br />

Der Deckel (der größere, obere Teil) wird als Epitheka, der Boden<br />

(der kleinere, untere Teil) als Hypotheka bezeichnet. <strong>Die</strong><br />

in Aufsicht erkennbaren Flächen nennt man Valven. In Seitenansicht<br />

sieht man den Gürtel (das Gürtelband), der nach dem<br />

Absterben der Zelle meist in einzelne Segmente zerfällt. Im Sediment<br />

sind deshalb meist nur die Valven zu finden.<br />

Diatomeen haben ihr Hauptverbreitungsgebiet in den Weltmeeren,<br />

wo sie in großer Artenvielfalt planktonisch (schwebend<br />

in der Wassersäule) leben. An den Meeresküsten und im<br />

Süßwasser der Flüsse und Seen kommen auch am Boden lebende<br />

(benthische) und am Substrat angeheftete Arten vor.<br />

<strong>Die</strong>se Differenzierung ist in erster Linie auf die autotrophe, an<br />

das Licht gebundene, Ernährung der Diatomeen zurückzuführen.<br />

Neben dem Licht benötigen die Diatomeen auch Nährstoffe,<br />

von denen Phosphor, Stickstoff und Silizium die wichtigsten<br />

sind. <strong>Die</strong> verschiedenen Arten haben unterschiedlich<br />

hohe Nährstoffansprüche.<br />

Nach dem prinzipiellen Bauplan der Diatomeen unterscheidet<br />

man die Centrales mit kreisförmigem Grundriss und radialer<br />

Symmetrie, zu denen u. a. die Cyclotellen gehören und die<br />

Pennales mit langgestreckter Form, zu denen z. B. die Fragilarien<br />

zählen.<br />

Warve: Der Begriff Warve stammt vom schwedischen "Varv”<br />

(=Schicht), der zu Beginn des 19. Jahrhunderts von De Geer<br />

(1912) für jährliche Seeablagerungen aus Schmelzwässern<br />

benutzt wurde. <strong>Die</strong> Grunddefinition bezieht sich also auf Warven,<br />

die aus Sand-Ton bestehen, somit klastische Warven genannt<br />

werden. Sie sind typisch für kalte Klimagebiete, so z. B.<br />

in proglazialen Seen, d. h. Seen vor dem Inlandeisgletscher.<br />

<strong>Die</strong> Warven jedoch, die in der heutigen Warmzeit in humiden<br />

und auch ariden Gebieten entstehen, sind als organogene<br />

und evaporitische Warven bzw. Mischformen ausgebildet. So<br />

sind z. B. die Warven des Holzmaares im wesentlichen durch<br />

die Ablagerung der Diatomeenblüten bestimmt mit zusätzlichem<br />

klastischen Eintrag im Winter und z. T. chemische Fällungen<br />

wie die Kalzitkristalle im Sommer (Abb. 65). In ariden<br />

Gebieten beherrschen dagegen chemische Fällungsprozesse<br />

die Warvenbildung (Heim et al., 1997, Ben Avraham et al.,<br />

1999).<br />

Zirkulation: In der Limnologie versteht man unter Zirkulation<br />

die großräumige Umwälzung der Wassermasse eines Sees<br />

von der Oberfläche zur Tiefe bei Temperaturgleichheit durch<br />

den Wind als Antriebsenergie.


66 Salomon Jacobsz van Ruysdael<br />

1600/03 Naarden – 1670 Haarlem<br />

Holländische Landschaft mit Raubzug<br />

1656<br />

Lw., 107,5 x 150,2 cm<br />

Bez. unten in der Mitte: S VRUYSDAEL 1656 (VR verbunden)<br />

Erworben 1870<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 901B<br />

63


Was den Winter vor allen anderen Jahreszeiten auszeichnet,<br />

ist das grundsätzlich veränderte Gesicht der landschaftlichen<br />

Erscheinung. Denn „wirklich“ Winter ist erst dann, wenn er<br />

sein „Kleid“ anzieht, mit Schnee die Landschaft bedeckt und<br />

wenn das Wasser, Urelement des Lebens, den festen Aggregatzustand<br />

annimmt. Dann erhält die Tristesse des Winters<br />

vorübergehend ein strahlendes Weiß, dann werden Fluss und<br />

See zu begehbaren Weiten und eröffnen neue Perspektiven<br />

und Handlungsräume.<br />

<strong>Die</strong> Faszination des Winters, festgehalten in Zeichnung, Graphik<br />

und Malerei, wurde ausgehend von flämischen Vorläufern<br />

im 17. Jahrhundert zu einer <strong>holländische</strong>n Domäne. Den<br />

Landschaftsdarstellungen liegt die entdeckende Erfahrung der<br />

Natur zugrunde, was aber mit einer Darstellung der realen<br />

Erscheinung und über sie hinaus zur Mitteilung gelangt, wird<br />

zur interessanten Frage an das Kunstwerk, die im folgenden<br />

an eine Auswahl von Winterlandschaften der Berliner Gemäldegalerie,<br />

ergänzt durch Leihgaben aus Privatbesitz und<br />

Zeichnungen aus dem Kupferstichkabinett Berlin, gerichtet<br />

wird.<br />

Erst im Laufe der längeren Entwicklungsgeschichte der Landschaftsmalerei<br />

wurde hinsichtlich der vier Jahreszeiten differenziert.<br />

Erste Winterlandschaften finden sich unter den Monatsbildern<br />

der Stundenbücher des 15. Jahrhunderts oder bei<br />

Darstellungen, die sich den Arbeiten zu verschiedenen Jahreszeiten<br />

widmen. <strong>Die</strong> Natur wird in ihrem zyklischen<br />

Charakter zur Ansicht gebracht und als Tätigkeitsfeld des<br />

Menschen für Arbeit und Vergnügen gesehen. Etwa gleichzeitig<br />

werden in der religiösen Malerei die in den Winter fallenden<br />

Ereignisse auch in eine Winterlandschaft gestellt. Selten<br />

jedoch die Geburt Christi, sie wird wegen ihres freudigen<br />

Charakters gerne in den Frühling verlegt. Im Verlauf des<br />

15. Jahrhunderts bildet sich die Winterlandschaft als eigenständiges<br />

Genre aus den Serien der Monats- und Jahreszeitenbilder<br />

heraus. Oft allerdings verbleibt die Winterlandschaft<br />

noch im Hintergrund, während winterzeitlich gebundene<br />

religiöse, historische oder Genrethemen Vorrang haben.<br />

Maßgeblichen Anteil an der Entwicklung tragen die Maler der<br />

südlichen Niederlande: Hugo van der Goes, Pieter Bruegel<br />

d. Ä., Jan Bruegel d. Ä., Denis van Alsloot, Joos de Momper,<br />

Esaias van de Velde und nicht zuletzt Lucas van Valckenborch.<br />

Der aus den Niederlanden ausgewanderte LUCAS VAN VALCKEN-<br />

BORCH wendete sich in seinen letzten Lebensjahren einem zu-<br />

64<br />

Eisvergnügen und andere Lebenswirklichkeiten<br />

Bedeutungsebenen <strong>holländische</strong>r Winterlandschaften<br />

Michael Budde<br />

vor von ihm nicht behandelten Thema zu, der Jahreszeitenallegorie<br />

als Markt-, Früchte- oder Erntebild. 1 Das Gemälde<br />

„Der Winter“ (Abb. 67) stammt aus einer solchen Jahreszeitenfolge.<br />

Es trägt sein Monogramm LVV und die Jahreszahl<br />

[15]95 auf dem Fischtrog unten links. Damit gehört das<br />

Gemälde in seine Frankfurter Schaffenszeit, denn ab 1593<br />

war er als Bürger in Frankfurt am Main ansässig. Allem Anschein<br />

nach war die Valckenborchsche Produktion in Frankfurt,<br />

die man sich als erfolgreichen, großen Werkstattbetrieb<br />

unter Lucas’ Oberleitung vorzustellen hat, sehr umfangreich. 2<br />

Acht Marktbilder solcher Serien von Jahreszeitenallegorien<br />

sind bekannt, darunter auch eine in den Details abweichende<br />

Zweitfassung dieses Fischmarktes. 3<br />

Das Motiv des Fischverkaufs ist traditionsgemäß Hinweis auf<br />

das Tierkreiszeichen „Fische“, das zu den drei Zeichen des<br />

Winters gehört. Der Fluss im Hintergrund deutet an, woher die<br />

Schätze kommen, die angeboten werden. Wie anhand eines<br />

Stiches von M. Merian nachgewiesen werden konnte, ist der<br />

Stadthintergrund eine freie Variation des St. Leonhardskais in<br />

Frankfurt. 4<br />

<strong>Die</strong> Dominanz des trivial Gegenständlichen der Marktsituation<br />

als buchstäblich vordergründiges Thema der Jahreszeitendarstellung<br />

muss im Zusammenhang mit der prosperierenden<br />

wirtschaftlichen Situation der Zeit gesehen werden. „In<br />

dem Maße, in dem in der okzidentalen Gesellschaft zum<br />

ersten Mal tendenziell eine ,Entzauberung‘ (Max Weber) der<br />

Religion stattfand, erhielten die Waren eine besondere Ausstrahlung,<br />

wurden sie zu fast (und manchmal auch tatsächlich)<br />

libidinös besetzten Fetischen, von denen eine magische Wirkung<br />

auszugehen schien.“ 5<br />

Der ostentativ aufgetürmte Reichtum an Fischen und dazu das<br />

bereits erworbene Fleisch im Korb der Damen kann zu der<br />

Annahme verleiten, die Bevölkerung müsse damals mit<br />

Nahrungsmitteln bestens versorgt gewesen sein. „Tatsächlich<br />

wurde zwar die Marktquote erheblich vermehrt, sie konnte<br />

aber die Nachfrage der städtischen Bevölkerung, die im Verhältnis<br />

zu ihrem Einkommen für die landwirtschaftlichen<br />

Produkte überhöhte Preise zahlen mußte, nicht decken.“ 6<br />

Ein wenig mag bei all dem Überfluss noch die Mahnung eines<br />

niederländisches Sprichwortes mitklingen: De goederen dezer<br />

wereld zijn gelijk aan sneeuwvlokken, die de oogen verblinden,<br />

en weldra versmelten (<strong>Die</strong> weltlichen Güter sind wie<br />

Schneeflocken, die die Augen blind machen und augenblicklich<br />

schmelzen).


67 Lucas van Valckenborch<br />

Um 1535 Löwen – 1597 Frankfurt/Main<br />

Der Winter<br />

1595<br />

Lw., 121,5 x 191,3 cm<br />

Bez. links unten am Fischtrog: [15]95/L/VV<br />

Leihgabe aus Privatbesitz<br />

65


68 Hendrick Avercamp<br />

1585 Amsterdam – 1634 Kampen<br />

Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern (Detail)<br />

Lw., 24 x 38 cm<br />

Puschkin Museum, Moskau<br />

HENDRICK AVERCAMP war der erste und bedeutendste Vertreter<br />

des frühen, eigenständigen <strong>holländische</strong>n Winterbildes. Für<br />

den Norden der Niederlande löste Avercamp das Winterbild<br />

aus dem religiösen Zusammenhang und dem der Jahres- bzw.<br />

Monatsfolgen, behält aber zum Teil allegorische Aspekte bei.<br />

Weil Avercamp wohl taubstumm war, trug er den Beinamen<br />

„De Stomme van Kampen“. Möglicherweise schärfte seine<br />

Taubheit den Blick für das Wesen und Verhalten der Menschen,<br />

das in seinen Gemälden wie Zeichnungen immer wieder<br />

treffend zum Ausdruck kommt. Avercamp arbeitete in dem<br />

Landstädtchen Kampen an der Zuider Zee. Seine nach den<br />

Frühwerken ab etwa 1615 entstandenen Meisterwerke lassen<br />

bei einem tiefen Blickpunkt die Nuancen der Luftperspektive<br />

wirksam werden und im Hintergrund nicht selten die Türme<br />

von Kampen erkennen.<br />

<strong>Die</strong> aquarellierte Federzeichnung Avercamps aus dem Kupferstichkabinett<br />

Berlin zeigt das „Leben auf dem Eise bei Sonnenuntergang“<br />

(Abb. 69). 7 Eine belebte Schlittenfahrstraße<br />

zieht sich von links in die Bildtiefe. Hauptmotiv ist ein von<br />

einem Kutscher gelenkter, mit zwei Damen besetzter, reichgeschmückter<br />

Pferdeschlitten. Zahlreiche Einzelszenen beleben<br />

die Eisfläche. Winterspezifische Tätigkeiten werden über die<br />

ausführenden Personen erzählt. So links am Bildrand ein Jäger<br />

mit Gewehr, am Gürtel das Pulverhorn und eine erlegte<br />

Ente als Beispiel der Winterjagd. Alle Schichten und Altersstufen<br />

vom Kind bis zum Greis tummeln sich auf der Eisfläche.<br />

In der Ferne mahnt ein Galgen an Gerechtigkeit und Tod.<br />

66<br />

Seitlich an den Fluchtlinien rahmen festgefrorene Schiffe die<br />

Szene. Wie inhaltlich die Bildgrenzen markiert werden, muss<br />

so drastisch geschrieben werden, wie es gezeichnet ist:<br />

Rechts im Bild scheisst einer ins Gras, während links ein<br />

anderer gegen den Bootsrumpf pinkelt. Beziehungsreiche<br />

Motive, die in der niederländischen Kunst dieser Zeit nicht<br />

selten zu finden sind. Sie weisen aber auch schlicht auf<br />

Entsorgungsprobleme bei oft langfristig gefrorenen Wasserläufen<br />

hin.<br />

<strong>Die</strong> gleichmäßig verteilten, marionettenhaft bewegten, parallel<br />

zu den großen Kompositionslinien aufgereihten Figuren<br />

wirken etwas unbeholfen und naiv, sie sind noch nicht wirklich<br />

mit der Landschaft zu einer Einheit verschmolzen. Dennoch<br />

haben sie nicht nur stimmungsbildende Funktion, sondern<br />

auch wesentlich sinndeutenden Charakter.<br />

In der zentralen Vordergrundszene bringt Hendrick Avercamp<br />

oft ein sozialkritisches Thema zur Darstellung: Arm und Reich<br />

treffen aufeinander. In der Zeichnung des Kupferstichkabinetts<br />

ist es ein in Lumpen gekleideter Mann, der im Blickkontakt zur<br />

reichen Gesellschaft im Prunkschlitten steht. <strong>Die</strong> gleiche Szene<br />

spielt sich auf einem Gemälde ab, das sich in Privatbesitz befindet.<br />

Dem Bild liegt insgesamt ein grundsätzlich gleiches<br />

Kompositionsschema zugrunde. Viele Motive, wie der Galgen<br />

im Hintergrund, der Jäger mit erlegter Ente und eben auch der<br />

Bettler neben dem reich geschmückten Pferdeschlitten finden<br />

sich hier wieder. 8 Ein Gemälde Avercamps im Rijksmuseum<br />

Amsterdam zeigt in der vorderen Mitte der Menschenmenge<br />

einen Bettler am Stab. Er hält die Hand auf, um Almosen von<br />

der neben ihm stehenden aufgeputzten Bürgergruppe zu erhalten.<br />

9 Sehr feinsinnig kreuzen sich die Gegensätze in einer<br />

Winterlandschaft aus dem Moskauer Puschkin Museum. Nah<br />

hinter der Gruppe der betuchten Bürger in der Bildmitte steht<br />

frierend ein sich die Hände warm hauchender, schlecht bekleideter<br />

Junge. Geschickt positioniert, überschneidet sein<br />

Holzschläger (damals war ein golfähnliches Spiel sehr beliebt)<br />

den Degen des Reichen (Abb. 68). 10<br />

Avercamp porträtiert hier keinesfalls die Freizeit-Gesellschaft<br />

des siebzehnten Jahrhunderts, auch wenn die Menschen auf<br />

dem Eis pauschal das farbenfrohe Bild einer vergnügten Menge<br />

bieten. Es ist auch weniger ein abbildender Bericht aus<br />

dem Leben, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, sondern<br />

vielmehr eine Art Zusammensetzspiel aus vielen Fragmenten<br />

und Skizzen, die dem Werk vorausgegangen sind und die zu<br />

verschiedenen Zeiten und sicher auch an verschiedenen Orten<br />

entstanden sind. Dadurch ergibt sich gewissermaßen ein idealisiertes<br />

Porträt einer Gesellschaft, wobei die Anordnung der<br />

Figuren wie der Farben durchweg bis ins Detail geplant sind.<br />

Darüber hinaus bietet das Werk versteckte allegorische Anspielungen<br />

auf das Verhältnis des Menschen zur Welt, verbunden<br />

mit einem ironischen Seitenblick, der vor Selbstüberschätzungen<br />

warnt und bei allem glatten Eis Bodenständigkeit<br />

mit dem Blick auf die Realitäten des Lebens einfordert. Eines<br />

der Grundthemen der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei, die<br />

Interpretation der Landschaft als Lebensraum des Menschen,<br />

fand hier frühzeitig überzeugende Verwirklichung.


69 Hendrick Avercamp<br />

1585 Amsterdam – 1634 Kampen<br />

Leben auf dem Eise<br />

Aquarell und Feder, 274 x 400 mm<br />

Erworben 1874<br />

Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 2230<br />

67


Einer der ersten Darsteller nordniederländischer Winterlandschaften<br />

ist auch ADAM VAN BREEN, seine Werke verraten deutlich<br />

den Einfluss von Hendrick Avercamp und David Vinckboom.<br />

Möglicherweise wurde er bei wenigstens einem von<br />

beiden zu Anfang des 17. Jahrhunderts in Amsterdam ausgebildet.<br />

Bekannte Daten aus seinem Lebenslauf lesen sich abenteuerlich:<br />

1611 heiratet Breen in Den Haag, von 1612 bis<br />

1621 gehört er dort der Lukasgilde an. In den Jahren<br />

1615–1617 wird er wiederholt in den gerichtlichen Akten der<br />

Stadt erwähnt. Ab 1622 ist er in Amsterdam ansässig und ein<br />

Konkursantrag wird beim Hohen Rat der Stadt genehmigt. Der<br />

darauf folgenden ersten Auswanderung nach Norwegen<br />

schließt sich nach kurzer Rückkehr in die Stadt Amsterdam<br />

(1628–1629) mit erneutem Konkurs die zweite an. Breen<br />

stirbt in Norwegen, sein genaues Todesjahr nach 1642 ist unbekannt.<br />

11<br />

<strong>Die</strong> biographischen Notizen geben entscheidende Hinweise<br />

für seine Winterlandschaften, da diese zwischen 1611 und<br />

1618 datiert werden, somit alle in Den Haag entstanden sind.<br />

Das Berliner Gemälde „Wintervergnügen“ (Abb. 70) schildert<br />

buntes Leben und Treiben auf dem Eis, eine schlittschuhlaufende<br />

Gesellschaft, teilweise als Anspielung auf törichtes Treiben im<br />

Kontext des emblematischen Deutens solcher Motive, wie auch<br />

das gesetztere Gebaren elegant gekleideter Bürger, deren Darstellung<br />

annähernd porträthafte Züge gewinnt. <strong>Die</strong>s kontrastiert<br />

zum stark verästelten Baum ohne Blätter als Mahnmal des Vergänglichen<br />

vor dem Hintergrund von Stadt und Kirche.<br />

Deutlicher als im Berliner Gemälde tritt die Vanitassymbolik in<br />

einer signierten und 1611 datierten Winterlandschaft Breens<br />

im Rijksmuseum Amsterdam hervor, das rechts vorn im Bild ein<br />

halb im Eis versunkenes Boot wiedergibt und dazu einen Tierschädel<br />

nebst Knochen, der von einem erschrockenen eislaufenden<br />

Paar bemerkt wird. 12 Ein solcher Schädel trägt jedoch<br />

nicht allein diesen Symbolwert, belegt er doch zugleich den<br />

Winter als traditionelle Schlachtzeit und die Verwendung<br />

von zusammengesetzten Rinderbackenknochen als Gleitdornschlitten,<br />

wie sie bereits Jan Bruegel des Öfteren zeigte.<br />

Der schon angesprochene Porträtcharakter der Personen in<br />

Breens Werk ist nicht von der Hand zu weisen. Entsprechend<br />

notiert allein der Berliner Gemäldegaleriekatalog von 1875:<br />

„Unter den Figuren im Vordergrunde der Prinz Moritz von<br />

Oranien mit Gefolge.“ 13 Nicht gänzlich abwegig; seine modisch<br />

gekleideten Figuren können sehr wohl Höflinge sein, die<br />

die Freuden des Winters genießen. 14 Tatsächlich hat sich ein<br />

1618 datiertes Gemälde Breens erhalten, das die Ansicht<br />

vom Vijverberg in Den Haag mit dem Prinzen Moritz und<br />

großem Gefolge beim Winterspaziergang zeigt; eine interessante<br />

Kombination von Winterbild, Stadtansicht und Porträt. 15<br />

Breen führt auch die höfische Gesellschaft auf’s Glatteis!<br />

Drei Paare im Vordergrund stehen amüsiert um eine kleine Person<br />

auf Krücken. Es ist wohl ein Hofnarr, der seinen Betrachtern<br />

im eigenen Dasein den Spiegel vorhält. Doch scheinen<br />

sie nicht zu erkennen, dass sie sich selbst wie die „Affen auf<br />

dem Eis“ gebaren, so der Titel einer um 1590 entstandenen<br />

Radierung von Pieter van der Borcht, der Affen anstelle von<br />

Antwerpener Bürgern auf dem Eis laufen lässt. Dazu heißt es<br />

in der niederländischen Beischrift: „Elck glibbert hier van<br />

68<br />

best, elck wilt den hane maken ...“ (Jeder rutscht hier nach bestem<br />

Vermögen, jeder will den Hahn machen, d. h. übermütig<br />

daherstolzieren). Der Moral dieser Graphiken war man sich<br />

sicher noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts bewusst. 16 Mit<br />

ihrem Hofnarren bereitet Adam van Breen der Gesellschaft<br />

ein durchaus ironisch reflektiertes Eislaufvergnügen.<br />

<strong>Die</strong> zumeist kleinformatigen Bilder des JAN VAN GOYEN zählen<br />

zu den höchsten Leistungen der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei.<br />

Natureindrücke, die er auf seinen Reisen in einer<br />

Vielzahl von Zeichnungen festhielt, verwandelte er in seinen<br />

Gemälden in eine höhere Wirklichkeit. Da bereits sein Vater<br />

eine besondere Vorliebe für die Zeichen- und Malkunst hatte,<br />

war er damit einverstanden, dass sein Sohn Künstler werden<br />

sollte. Nach Lehrzeiten in Leiden und Haarlem, zuletzt bei<br />

Esaias van de Velde, und einer Studienreise durch Frankreich,<br />

ließ er sich 1632 in Den Haag nieder. Neben der Malerei<br />

war van Goyen auch in andere Geschäfte verwickelt. Spekulationen<br />

im Immobiliengeschäft und auch in solche mit „Tullipaenen<br />

bollen“ (Tulpenzwiebeln) trieben ihn in den wirtschaftlichen<br />

Ruin. Er verlor seinen Besitz und starb 1657<br />

zahlungsunfähig mit einer Schuldenlast von mindestens<br />

18.000 Gulden. 17<br />

<strong>Die</strong> in den Jahren 1620 bis 1626 entstandenen Gemälde gelten<br />

als Frühwerke innerhalb seines Œuvres. Gemälde aus<br />

dieser Zeit sind häufig als Sommer-Winter Pendants entstanden<br />

und auch zusammengehörig überliefert, wie das Paar der<br />

Berliner Gemäldegalerie aus dem Jahr 1621 (Abb. 71, 72).<br />

Mit dieser Themenverbindung knüpft van Goyen an die alten<br />

flämischen Jahreszeiten-Landschaften an. In gleicher Tradition<br />

steht das kleine, runde Format, das einen besonderen Zusammenhalt<br />

der Komposition gewährleistet. 18 Gemälde dieser<br />

Gruppe variieren im Durchmesser zwischen 10 und 68,5 cm.<br />

Das früheste Exemplar ist auf 1620 datiert, das letzte bekannte<br />

auf 1650. <strong>Die</strong> meisten dieser Kabinettbilder entstanden<br />

jedoch vor 1630. Beck verzeichnet noch 60 Rundbilder<br />

im Werkkatalog, eine Menge, die auf rege Nachfrage<br />

schließen lässt. 19<br />

Eine Bogenbrücke im Mittelgrund der Winterlandschaft verbindet<br />

die Ufer eines schmalen Stadtgrabens. Rechts markiert<br />

ein turmbewehrter Torbau mit Nebengebäude die Stadtgrenze,<br />

links am Ende des Weges zeigen sich Häusergiebel zwischen<br />

entlaubten Bäumen. Betriebsam geht es nur auf dem<br />

Wassergraben zu. Schlittschuhläufer und vorn ein schlittenfahrendes<br />

Paar prägen die Szene. Zuschauer stehen auf der<br />

Brücke, am Wegesrand und Ufer. Alles konzentriert sich auf<br />

die Eisfläche. Hier spielt sich das Leben ab, nicht mehr wie gewohnt<br />

im fließenden, jetzt auf dem gefrorenem Wasser. Das<br />

innerbildliche Betrachtungsgeschehen erscheint als Vorgabe<br />

zur Bildrezeption, die Eigenheiten des Winters wahrzunehmen.<br />

Im Wesentlichen zeigt van Goyen nur die durch das Eis<br />

entstandene Irritation als Winterelement. Wiedergabe von<br />

Dunst, Nebel, Reif und Schnee, die seine späteren Werke<br />

kennzeichnen, fehlen noch.<br />

<strong>Die</strong> drei Winterlandschaften van Goyens der Gemäldegalerie<br />

Berlin geben einen Querschnitt durch die Stilphasen des<br />

Künstlers. Nach den frühen Jahreszeitenminiaturen, bei denen


70 Adam van Breen<br />

Um 1585 Amsterdam – nach 1642 Norwegen<br />

Wintervergnügen<br />

Um 1615<br />

Eichenholz, 40 x 57,7 cm<br />

Erworben 1874<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 760A<br />

69


die atmosphärische Stimmung im Bildgeschehen noch keine<br />

Rolle spielt, liegt mit der Eislandschaft von 1643 (Abb. 73) ein<br />

Werk aus der Periode der „absoluten Tonigkeit“ vor. <strong>Die</strong><br />

feuchte, dunstgetränkte Luft verdrängt die Lokalfarben aus der<br />

Landschaftsszenerie zugunsten einer malerischen, tonigen<br />

Färbung. Einzelheiten verlieren sich und verschwimmen im<br />

zarten, nebeligen Dunst der Ferne, die sich mit der Atmosphäre<br />

harmonisch verbindet. 20 „Zu Beginn der 40er Jahre<br />

wendet sich van Goyen von der ,naturalistisch-realistischen‘<br />

Naturschilderung ab und transponiert unter dem Eindruck der<br />

künstlerischen Vision die Lokalfarben zu einem eigenen,<br />

neuen, nuancenreichen Farbenspiel.“ 21 Von gelblichem und<br />

bräunlichem Schimmern durchleuchtetes Grau verleiht der<br />

Winterszene ein Höchstmaß an Einheit. Geschickt platziert<br />

van Goyen im Zentrum vorne einen gestürzten Jungen, der<br />

seine Mütze verloren hat. Dadurch ist der Blick in die Tiefe der<br />

Landschaft freigegeben auf die Kirche in der Ortschaft am Horizont.<br />

Auch wenn zahlreiche Personen die Eisflächen beleben,<br />

den Darstellungsinhalt bildet nicht die erzählerische<br />

Mannigfaltigkeit der Figurenmotive, sondern das Erlebnis von<br />

Raum, Licht und Atmosphäre. 22 <strong>Die</strong> Tonigkeit der Farbgebung<br />

ist das Medium, in das die Naturdinge, die Menschen und die<br />

Ansicht der Stadt eintauchen.<br />

Um 1650 entwickelte van Goyen gleich anderen Landschaftsmalern<br />

eine repräsentativere Bildauffassung, die bei aller<br />

Tonalität eine intensivere Farbigkeit zeigt. Das Gemälde „Eisvergnügen<br />

vor einem Wirtshaus“ (Abb. 74) gehört in diese<br />

Phase. Zweimal ist es mit dem Entstehungsjahr 1650 bezeichnet.<br />

„<strong>Die</strong> strenge Geschlossenheit der Komposition im<br />

annähernd quadratischen Bildformat und die nirgends unvermittelt<br />

sachbezogene, sondern stets atmosphärisch gebundene<br />

Farbigkeit sind deutliche Kennzeichen von van Goyens<br />

Spätstil.“ 23<br />

Links im Mittelgrund zwischen kahlen Bäumen steht das Wirtshaus,<br />

davor auf dem gefrorenen Flussufer drängen sich Schlittschuhläufer,<br />

Spaziergänger, Schlittenfahrer und Kolfspieler.<br />

Kolf gehörte damals zu den beliebtesten Eisvergnügen in<br />

Holland. Es war der Vorläufer des modernen Golf und in gewissem<br />

Sinne auch des Eishockeys. Im 17. Jahrhundert wurden<br />

zwei Varianten gespielt: entweder versuchte man ein festgesetztes<br />

Ziel, einen Stecken im Eis, anzuspielen oder eine<br />

größtmögliche Distanz mit einer begrenzten Anzahl von<br />

Schlägen zu erreichen. 24<br />

ISACK VAN OSTADE inszenierte vermutlich um 1645 eine Winterlandschaft<br />

(Abb. 75), die als poetisches Stimmungsbild<br />

einer vermeintlichen Alltagsszene an unbestimmtem Ort auftritt.<br />

Links von Bootsmasten und rechts durch einen kahlen<br />

Baum eingefasst, erstreckt sich die eisbedeckte Weite eines<br />

Binnengewässers unter dunstigem Abendhimmel. <strong>Die</strong> von<br />

grauviolettfarbenen Wolkenzügen und frostigem Himmelsblau<br />

überspannte Landschaft verbleibt nicht in der Bestimmung<br />

einer sachbezogenen Abbildung der Naturerscheinung, sondern<br />

erfährt eine künstlerische Überhöhung durch das Zusammenspiel<br />

der Ausdruckswerte von Farbe und Form.<br />

Was im See festgefrorene Schiffe zur wärmeren Jahreszeit<br />

zügig leisten, geht jetzt nur mühsam über Schlitten vorwärts,<br />

70<br />

die entweder von Hand schwer geschoben oder lastenbeladen<br />

von Pferden über das Eis gezogen werden müssen. Sämtliche<br />

Personen gehen gebeugt, wie angestrengt unter der<br />

Knechtschaft des Winters. So macht die künstlerische Unterordnung<br />

der Figuren in ihrer weniger differenzierten Ausführung<br />

gegenüber den Landschaftsdetails Sinn und vermittelt<br />

Verständnis für die Vorrangstellung der wenig menschenfreundlichen<br />

Winterwetterseiten. Damit pointiert Ostade die<br />

Einheit zwischen Mensch und Landschaft, die er in ihrem Abhängigkeitsverhältnis<br />

zueinander zeigt. <strong>Die</strong>se atmosphärische<br />

Darstellung des Winters darf als Sonderleistung innerhalb seines<br />

Œuvres angesehen werden, in ihr wird das Subjektive der<br />

künstlerischen Interpretation spürbar und befreit den Betrachtenden<br />

von einer nur nüchternen Kenntnisnahme des sinnlich<br />

Vorgestellten zu eigener Subjektivität. 25<br />

BARENT AVERCAMP, der Neffe und Schüler von Hendrick Avercamp<br />

war ursprünglich Holzhändler. <strong>Die</strong> Malerei gehörte<br />

aber sicherlich zu seinen Haupttätigkeiten, wurde er doch in<br />

den Jahren 1656, 1672 und 1677 zum Vorsteher der Lukasgilde<br />

von Kampen gewählt. Unternehmerische Nebentätigkeiten,<br />

die er wie viele seiner Künstlerkollegen ausübte, nahmen<br />

ihn wohl in den letzten Lebensjahren mehr und mehr in Anspruch.<br />

Als Mitinhaber einer Mühle und Besitzer einer Topfgießerei<br />

erlangte er Wohlstand und Ansehen. 26<br />

<strong>Die</strong> Bilder Barent Avercamps sind stilistisch stark durch die seines<br />

Onkels beeinflusst, ihre Qualität wird jedoch geringer eingestuft.<br />

Oft kopiert er Figuren nach dessen Gemälden, zeigt<br />

sie aber auch in zeitgenössischer Kleidung. Seine frühen Werke<br />

orientieren sich noch eng an den kleinteiligen und farbenfroh<br />

gestalteten Eisvergnügen. Gemälde wie die „Winterlandschaft<br />

mit zugefrorenem Fluss“ (Abb. 76) entstanden vermutlich<br />

erst nach der Mitte des Jahrhunderts. Entsprechend<br />

der allgemeinen Entwicklung der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei<br />

sind sie sparsamer motiviert und in toniger Malweise<br />

atmosphärisch eingetrübt. 27<br />

In der Winterlandschaft sind aus dem schier endlos scheinenden<br />

Menschenstrom auf dem Eis zwei Personen, ein Fischer<br />

und ein Junge, herausgehoben und durch ihre braunroten<br />

Mäntel farblich abgesetzt zum Grauschwarz der Passanten<br />

rechts und links. <strong>Die</strong> beiden sind an einem Mastbaum beschäftigt,<br />

der wohl dazu dient, ihr Fischernetz zum Trocknen<br />

aufzuhängen.<br />

Gegenüber den bühnenmäßig inszenierten Bildräumen, die<br />

noch sein Onkel schuf, wird hier eine Szene des flachen,<br />

schnee- und eisüberzogenen Landes zum dominierenden Gegenstand<br />

der künstlerischen Darstellung erhoben.<br />

71/72 Jan van Goyen<br />

1596 Leiden – 1656 Den Haag<br />

oben: Der Sommer 1621<br />

unten: Der Winter 1621<br />

Eichenholz, rund, Durchmesser 10,5 cm<br />

Der Sommer: Bez. links unten: I.V.GOIEN<br />

Der Winter: Bez. links unten: I.V.GOIEN 1621<br />

Erworben 1874<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 865 A/865 B


73 Jan van Goyen<br />

1596 Leiden – 1656 Den Haag<br />

Eislandschaft mit Schlittschuhläufern<br />

1643<br />

72<br />

Eichenholz, 24,8 x 32 cm (oben beschnitten; vermutlich ursprünglich ein Hochformat)<br />

Bez. links auf dem Schlitten: vG 1643<br />

Erworben 1904<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 865F


74 Jan van Goyen<br />

1596 Leiden –- 1656 Den Haag<br />

Eisvergnügen vor einem Wirtshaus<br />

1650<br />

Eichenholz, 35,5 x 39,4 cm<br />

Bez. links unten zweimal: vG 1650 vG 1650<br />

Erworben 1874<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 865C<br />

73


75 Isack van Ostade<br />

1621 Haarlem – 1649 Haarlem<br />

Eislandschaft mit Schlitten und eingefrorenen Booten<br />

Um 1645<br />

74<br />

Eichenholz, 21,4 x 25,7 cm<br />

Bez. links unten: Isack Ostade<br />

Erworben 1913<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 1709


76 Barent Avercamp<br />

1612/13 Kampen – 1679 Kampen<br />

Winterlandschaft mit zugefrorenem Fluss<br />

Um 1650/55<br />

Eichenholz, 20,4 x 32,6 cm<br />

Bez. rechts unten am Weg: Avercamp<br />

Erworben 1821<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 760<br />

75


77 Aert van der Neer<br />

1603/04 Amsterdam – 1677 Amsterdam<br />

Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern bei Sonnenuntergang<br />

Um 1655/60<br />

76<br />

Lw., 42 x 56,5 cm<br />

Bezeichnung links unten: AV DN (jeweils verbunden)<br />

Erworben 1908<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 842E


Rückblickend in die Geschichte der Malerei kann man AERT<br />

VAN DER NEER als den Caspar David Friedrich unter den <strong>holländische</strong>n<br />

Winterlandschaftsmalern des 17. Jahrhunderts bezeichnen.<br />

In der Tat war der alte Meister für den deutschen Romantiker<br />

des 19. Jahrhunderts, insbesondere durch seine<br />

zahlreichen Landschaften im Mondschein (vgl. Abb. 43) und<br />

bei Sonnenuntergang, Anregung und Vorbild.<br />

Neers Kunst, die zu seinen Lebzeiten kaum gewürdigt wurde,<br />

gehört zu den bedeutenderen Leistungen der <strong>holländische</strong>n<br />

Landschaftsmalerei. Er spezialisierte sich auf die Darstellung<br />

von Winter- und Mondscheinlandschaften, die in ihrer stimmungsvollen<br />

Wiedergabe eine Steigerung des rein Zuständlichen<br />

erreichen. In der „Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern“<br />

(Abb. 77) lässt das letzte Sonnenlicht die Dorfkirche mit<br />

ihrem spitzen Turmhelm wie im Nimbus erstrahlen und beleuchtet<br />

von dorther richtungsweisend die Szene auf dem Eis.<br />

<strong>Die</strong> Ausbreitung des Lichts, das den Bildraum durchflutet, wirkt<br />

zugleich erleuchtend und färbend. 28 Ein effektvolles Gemälde<br />

einer Abendstimmung aus der Reihe seiner etwa 150 Winterbilder.<br />

29<br />

<strong>Die</strong> Figuren sind gut beobachtet und treffsicher wiedergegeben.<br />

Individuen erscheinen als Typen, Vertreter ihrer Art: Geschäftige<br />

und Ruhende, die jungen Flitzer auf dem Eis neben<br />

der geschwätzigen Gruppe, Müßiggänger, Spieler und Gestolperte.<br />

Auch den Dickbäuchigen, eine versetzte Vertikalparallele<br />

zum Kirchturm im Vordergrund, trägt das Eis. Teilweise<br />

scheinen Interieurszenen nach draußen auf das Eis verlegt,<br />

wie die auf einem Stuhl sitzende Frau mit den beiden<br />

Kindern rechts im Bild.<br />

Ein Studienblatt, das Aert van der Neer zugeschrieben wird,<br />

gibt Einblick in den Entstehungsprozess eines solchen Gemäldes<br />

(Abb. 78). Es zeigt fünf Gruppen von Leuten auf dem Eis,<br />

eine Skizze zu einem Kahn und eine kleine Winterlandschaft.<br />

Deutlich wird, wie beispielsweise Kolfspieler oder Typen,<br />

gleich dem Dicken im Gemälde, in verschiedenen Positionen<br />

und Ansichten erprobt werden.<br />

Eine Bildsituation, wie van der Neer sie präsentiert, zieht den<br />

religionshistorischen Hintergrund der Reformation in den Blick.<br />

Glaubensfreiheit war das zentrale Novum im calvinistisch<br />

dominierten Holland. Gegründet auf die Rechtfertigung durch<br />

den Glauben, die universelle Priesterschaft und die alleinige<br />

Autorität der Bibel, stellte die protestantische Reformation den<br />

Menschen in ein direktes Verhältnis zu Gott. Der Reformator<br />

Calvin war jedoch, weit mehr als Luther, davon überzeugt,<br />

dass die Gläubigen nicht mit der Gewissheit ihres individuellen<br />

Glaubens allein gelassen werden durften, sondern eines<br />

festen Halts in der Pfarrgemeinde bedurften.<br />

Das Gemälde vermittelt ein Bild dieser neuen Gesellschaft,<br />

des reformierten Menschen, der gewissermaßen in Selbstbestimmtheit<br />

verantwortlich handelt. Das Kirchengebäude im<br />

Bildhintergrund versteht sich nach wie vor als Sinnbild der Gemeinschaft<br />

der Gläubigen, der Institution stehen jedoch die<br />

Menschen voran. Als These könnte man formulieren: das Bildthema<br />

handelt von einer reformatorisch geprägten Ecclesia<br />

auf dem Eis. Gleich, ob von Aert van der Neer intendiert oder<br />

nicht, die Aussage teilt sich in Rückschau auf den Geist der<br />

Zeit mit.<br />

78 Aert van der Neer (zugeschrieben)<br />

1603/04 Amsterdam – 1677 Amsterdam<br />

Studienblatt mit fünf Gruppen von Leuten<br />

Feder in Braun getuscht, zuunterst flüchtige Graphitskizze, 261 x 200 mm<br />

Erworben 1902<br />

Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 5338<br />

Der Blick auf die Stadt Vianen mit Schloss Batestein bildet<br />

nach W. Stechow den Hintergrund für eine Winterlandschaft<br />

von SALOMON VAN RUYSDAEL (Abb. 79). 30 Vorne links leitet ein<br />

bekränztes Marketenderzelt, hinter dem noch der First eines<br />

zweiten sichtbar wird, in das Geschehen auf dem Eis ein. Davor<br />

zahlreiche in Schlitten angereiste Gäste, unter denen neben<br />

dem Ziegenschlitten ein Prunkschlitten mit zwei Paaren in<br />

Rückenansicht auffällt. <strong>Die</strong> Rückwand dieses Schlittens trägt<br />

das Monogramm Ruisdaels und die Datierung 1653.<br />

Der Bildidee nächstverwandt ist das Gemälde „Winter bei<br />

Dordrecht“ aus dem gleichen Jahr. 31 Wieder wirkt die schräg<br />

bildeinwärts entwickelte Stadtkulisse am zugefrorenen Fluss<br />

mit einer Zeltgruppe im Vordergrund kompositionsbestimmend.<br />

Augenfälligster Unterschied bleibt neben einer variierten<br />

Figurenstaffage der von einem Schimmel gezogene, hier<br />

zum Betrachter gewendete Prunkschlitten.<br />

Für die begleitenden Stadtveduten hat sich Ruysdael deutlicher<br />

als sonst in seinen Werken an bekannte Plätze gehalten,<br />

wenngleich auch in seinen Winterlandschaften willkürliche<br />

77


79 Salomon Jacobsz van Ruysdael<br />

1600/03 Naarden – 1670 Haarlem<br />

Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern und Zelt<br />

1653<br />

78<br />

Lw., 75 x 110 cm<br />

Bez. in der Mitte auf dem Schlitten: S.vR 1653 (vR verbunden)<br />

Leihgabe aus Privatbesitz


Änderungen und Kombinationen sowie reine Phantasiebauten<br />

nicht fehlen. 32<br />

Erst in der Spätzeit seines Schaffens um 1650 wendet sich Salomon<br />

van Ruisdael intensiver dem Thema Winterlandschaft<br />

zu. Stechow bescheinigt ihm Meisterschaft in diesem Fach,<br />

gerade auch im Hinblick auf die Wiedergabe des Atmosphärischen.<br />

Ruysdael wusste „um das kalte ,Stehen‘ der winterlichen<br />

Lokalfarben und Umrisse im Vordergrund, das Glitzern<br />

in den ferneren Partien, die besondere Art der Reflexe<br />

auf dem Eis.“ 33<br />

<strong>Die</strong> bewundernde Betrachtung der Stadtsilhouetten unter dem<br />

aufgerissenen Wolkenfirmament durch die prominent gesetzten<br />

Personen in den Prunkschlitten scheint als eigentliches<br />

Thema der vorbeschriebenen Winterszenen auf. An Stelle der<br />

sachlichen Schilderung landschaftlicher Motive tritt eine<br />

romantisch verklärende, nahezu pathetische Überhöhung der<br />

Kulturlandschaft im Gewand einer Winterszene.<br />

Das Gemälde „Schlittschuhläufer auf dem Y vor dem Paalhuis<br />

in Amsterdam“ (Abb. 81) führt in die undurchschaubaren Verhältnisse<br />

der KÜNSTLERFAMILIE BEERSTRAATEN. Es ist rechts unten auf<br />

einer Eisscholle mit dem Namen „J. Beerstraaten“ signiert. <strong>Die</strong><br />

verlorengeglaubte Datierung 34 „1664“ wurde erst jetzt wiederentdeckt,<br />

sie befindet sich gut lesbar unterhalb der Signatur<br />

auf einer zweiten Eisscholle.<br />

Eine weitgehend übereinstimmende Winterszene mit anderer<br />

Staffage und Wolkengestaltung beherbergt das Rijksmuseum<br />

Amsterdam unter gleichem Titel. 35 Ein Jahr früher als das<br />

Berliner Gemälde entstanden, 1663 datiert und signiert, wird<br />

das Werk für den niederländischen Maler und Zeichner Johannes<br />

Beerstraaten (1653–1708) in Anspruch genommen.<br />

Er hätte das Amsterdamer Gemälde im Alter von nur zehn Jahren<br />

geschaffen. 36 Es wird zu untersuchen sein, wie groß der<br />

Anteil seines Vaters, Jan Abrahamsz Beerstraaten d. Ä. (1622–<br />

1666) an den Werken ist. Für das Gemälde in Berlin besteht<br />

neben der Beteiligung des Vaters auch die Möglichkeit, dass<br />

es Jan Abrahamsz Beerstraaten d. J. (1627–1668) gemalt hat.<br />

Er, dessen verwandtschaftliche Verhältnisse zur Beerstraatenfamilie<br />

ungeklärt sind, kopierte nach Vorlagen von Johannes’<br />

Vater, Jan Abrahamsz Beerstraaten d. Ä.<br />

Nur einzelne Schlittschuhläufer und Schlittenfahrer zeigt der<br />

Maler auf der Eisfläche des ausgewählten Flussabschnitts, an<br />

dessen Uferbefestigung die festgefrorenen Boote aufgereiht<br />

sind. Alle Aufmerksamkeit zieht das Band der prächtigen<br />

Stadtarchitektur auf sich, das von rechts nach links in die Bildtiefe<br />

führt. Glanzstücke der Ingenieurbaukunst am und im<br />

Wasser beweisen ihre Winterfestigkeit und künden von der<br />

aufstrebenden Hafenstadt Amsterdam, die dem flämischen<br />

Antwerpen als Handelsmetropole des 17. Jahrhunderts längst<br />

ebenbürtig war. In Gewissheit dieser wirtschaftlichen Blütezeit<br />

können die Menschen sorglos auf dem Eis gleiten. So gesehen<br />

vermittelt das Gemälde wohl auch Bürgerstolz auf die erbrachten<br />

Leistungen und Selbstsicherheit im Umgang mit dem<br />

heimatlichen Land. Ein Patriotismus, den Jacobus Lydius 1668<br />

in die Zeile fasst: Unendlich danke ich Ihm, der Holland schuf<br />

wie Jerusalem. 37<br />

Schon den Göttern in skandinavischen Mythen dienten Schlittschuhe<br />

aus Tierknochen zum schnellen Dahingleiten. Pioniere<br />

des „Breitensports“ allerdings waren die Niederländer, nachdem<br />

der Schlittschuh im 15. Jahrhundert aus Holz und Eisen<br />

konstruiert wurde. Schlittschuhlauf war hier, frei von Standesschranken<br />

und Anstandsregeln, selbst Frauen gestattet. Außerhalb<br />

der Niederlande durfte eine Frau beim Winterspaß nur<br />

die Rolle der passiven Schönen spielen, im prachtvollen Schlitten<br />

vom Kavalier geschoben. 38 ANTHONIE VAN BEERSTRAATEN<br />

zeigt ein solches Wintervergnügen im kalten Blaugrau eines<br />

Wintertages auf der Eisfläche eines Flusses, der sich breit<br />

durch eine kleine Ortschaft zieht (Abb. 80). Auffällig stehen<br />

links im Bild hohe, fein verästelte, mit Schnee bedeckte<br />

Bäume. Sie reichen in den mattblauen Himmel, der von dunkelblaugrauen<br />

Wolken mit weißen Lichträndern durchzogen<br />

wird.<br />

Winterlandschaften dieser Art sind für Jan Abrahamsz wie für<br />

Anthonie van Beerstraaten charakteristisch. Beide kennzeichnet<br />

auch die Ausführung einer eleganten, etwas überhöhten<br />

Figurenstaffage. Als Grundprinzip ihrer Bildarrangements vereinigen<br />

sich Real- und Phantasiearchitektur in einem Gemälde,<br />

so dass topographische Merkmale und jahreszeitliche Stimmung<br />

zusammen eine poetische Komposition ergeben.<br />

Neben Jan van Goyen war PHILIPS WOUWERMAN einer der eifrigsten<br />

<strong>holländische</strong>n Kleinmeister. Er hat vermutlich etwa<br />

1000 Bilder gemalt, von denen ca. 700 erhalten sind. <strong>Die</strong><br />

späten Gemälde der 1650er und 1660er Jahre zeichnen sich<br />

aus durch Motivfülle, reiche Phantasie, geschickte Anordnung<br />

und Inszenierung, eine lebendige Erzählung sowie Helligkeit<br />

und Klarheit in der Farbgebung, wobei ein kühler Luftton vorherrscht.<br />

<strong>Die</strong>s gilt auch für die um 1660 entstandene Winterlandschaft<br />

mit Holzsteg (Abb. 82) der Gemäldegalerie Berlin.<br />

Das malerische Gefüge einer Holzbrücke, die einen kleinen,<br />

fast zugefrorenen Flusslauf überspannt, führt auf ein giebelständiges<br />

Gehöft am rechten Bildrand zu, vor dem ein kahler<br />

Baum, durch Lichtwirkung und bewegte Verästelung dramatisch<br />

in Szene gesetzt, die Vertikale gegenüber der Breitenausdehnung<br />

der Uferböschungen hervorhebt.<br />

In der imposanten Wolkendarstellung liegt Wouwermans Gemälde<br />

ein Kunstgriff zu Grunde, der neben bildkompositorischen<br />

Aspekten freilich mehr bietet als eine meteorologisch<br />

exakte Wolkenkonstellation. 39 Der hell-dunkel, fast schwarzweiße<br />

Kontrast in den Bildhälften erweist sich als offene Interpretationsmöglichkeit<br />

des Phänomens Natur bzw. der Kräfte<br />

des Himmels im Sinne von Existenzbedrohung und Existenzermöglichung<br />

für den Menschen. <strong>Die</strong>ser Dualismus bleibt auch<br />

im <strong>Kleine</strong>n sinnfällig, durch die Reisigträger am Steg, sie<br />

holen ein, was zuvor gewachsen ist, um gegen die Kälte im<br />

Haus zu heizen.<br />

Der kompositorische Höhepunkt des Bildes liegt mitten zwischen<br />

diesen Wolkenbergen, unter dem Steg: ein schwarzes<br />

Loch, der noch nicht zugefrorene Flussbereich. In dieser bedrohlich<br />

wirkenden Situation gehen die Menschen, klein gehaltene<br />

Figuren vor den übermächtigen Naturgewalten, unbeirrt<br />

ihren Beschäftigungen nach. Unübersehbar, hervorgehoben<br />

durch die den Blick auf sich ziehende rote Mütze, fährt<br />

79


80 Anthonie Beerstraaten<br />

1637 Amsterdam – um 1665<br />

Zugefrorener Fluss mit Schlittschuhläufern und Spaziergängern<br />

Um 1655 (?)<br />

80<br />

Lw., 36 x 55 cm<br />

Bez. links unten auf einem Brett: A. B. fec.<br />

Erworben 1853<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 848B


81 Johannes Beerstraaten (?)<br />

1653 Amsterdam – nach 1708<br />

Schlittschuhläufer auf dem Y vor dem Paalhuis<br />

und der Nieuwe Brug in Amsterdam<br />

1664<br />

Lw., 90 x 127 cm<br />

Bez. links unten: J. Beerstraten fecit 1664<br />

Erworben 1846<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 868A<br />

81


82 Philips Wouwerman<br />

1619 Haarlem – 1668 Haarlem<br />

Winterlandschaft mit Holzsteg<br />

Um 1660<br />

82<br />

Eichenholz, 30,6 x 36,9 cm<br />

Erworben 1908<br />

Berlin, Gemäldegalerie, Kat.Nr. 900F


83 Jacob Isaacsz van Ruisdael<br />

1628/29 Haarlem – 1682 Amsterdam<br />

Winterlandschaft mit Aussicht über die Amstel nach Amsterdam<br />

Um 1670/75<br />

Lw., 45 x 54,5 cm<br />

Bez. links unten: JvRuisdael (JvR verbunden)<br />

Leihgabe aus Privatbesitz<br />

83


ein spielendes Kind mit dem Schlitten auf der Eisfläche. Ein unschuldiges<br />

Vergnügen am Rande des Abgrundes. Es scheint,<br />

als wäre die durch den Propheten Jesaja verkündete paradiesische<br />

Endzeit nicht fern: „Der Säugling spielt vor dem<br />

Schlupfloch der Natter, das Kind streckt die Hand in die<br />

Höhle der Schlange“ (Jes. 11, 6). <strong>Die</strong> typologisch von der Ankunft<br />

des Messias kündende Weihnachtsepistel schließt sich in<br />

den Kontext der Winterzeit ein. 40<br />

Waren Winterbilder Pieter Bruegels d. Ä. noch eine Überschau<br />

auf ganze Weltlandschaften, die zu einer einzigen gewaltigen<br />

Metapher der Mächte und des Daseins verschmolzen,<br />

gereicht nunmehr ein bestimmter, dramaturgisch inszenierter<br />

Erdenwinkel zur gleichen Aussagekraft. Und es ist in<br />

beiden Fällen an der Oberfläche doch nichts weiter als ein<br />

Blick in die Natur, eine Landschaft. 41<br />

Im Machtbereich des Protestantismus suchten die Maler frühzeitig<br />

nach Möglichkeiten, das Numen der Heiligendarstellung<br />

in die von der religiösen Zensur gestatteten Stilleben- und<br />

Landschaftsbilder hinüberzuretten. In diesen Bildgattungen<br />

entwickelte sich eine eigene säkulare Rhetorik. Insbesondere<br />

die Landschaftsgemälde JACOB VAN RUISDAELs lesen sich wie<br />

ein Erbauungstraktat, so real und ungestellt die Kompositionen<br />

auch wirken mögen. 42 Der Neffe Salomon van Ruysdaels<br />

gilt als der bedeutendste <strong>holländische</strong> Landschaftsmaler des<br />

17. Jahrhunderts. Seine Wasserfall-Gemälde (vgl. Abb. 24)<br />

kennen in der niederländischen Landschaft keine Vorbilder.<br />

Sie sind, so das Fazit von W. Wiegand, als Variationen eines<br />

Themas zu begreifen, das im Zentrum barocker Weltsicht<br />

beheimatet ist: Vanitas. 43 Zahllos sind die Belege in Bibel, zeitgenössischer<br />

Dichtung und Spruchweisheit, die das menschliche<br />

Leben mit einem ablaufenden Wasser oder Strom vergleichen<br />

und den geknickten oder gefällten Baum als Metapher<br />

des Todes einsetzen. 44 In eine solche Grundstimmung<br />

fallen sicher auch die schwermütigen Winterbilder Ruisdaels,<br />

von denen rund 25 Gemälde überkommen sind, die zumeist<br />

in den letzten Schaffensjahren des Malers, ab etwa 1655, im<br />

Anschluss an seinen Umzug nach Amsterdam entstanden. So<br />

auch das Werk „Winterlandschaft mit Aussicht über die Amstel<br />

nach Amsterdam“ (Abb. 83) aus Privatbesitz, das in die<br />

erste Hälfte der sechziger Jahre datiert wird. 45 Es schildert nicht<br />

die Freuden, die diese Jahreszeit mit sich bringt. Hier ist nicht<br />

an vergnügte Schlittschuhläufer zu denken, auch nicht an die<br />

lyrisch-romantische Eleganz der Gemälde eines Jan van de Cappelle.<br />

Ruisdael hat in diesem und einigen verwandten Bildern<br />

die winterliche Szenerie mit düsteren, freudlosen Gedanken<br />

verknüpft. Der Tag geht zur Neige, Dunkelheit und Kälte senken<br />

sich über das Gehöft herab. <strong>Die</strong> Welt wirkt eng und<br />

dumpf, erstarrt in Trostlosigkeit und Todesahnung. Mit großer<br />

Meisterschaft ist die eigentümliche Lichtsituation eines frühen<br />

Winterabends eingefangen, wenn der Schnee das letzte Licht<br />

reflektiert und die beginnende Dunkelheit einen fahlen bläulichen<br />

Schimmer über die Landschaft breitet. Der Leitgedanke<br />

scheint die einsame, düstere Stimmung eines Wintertages zu<br />

sein, die diese Jahreszeit gleichsetzt mit Traurigkeit und Tod.<br />

84<br />

Bedenken gegen eine solche, von Rosenberg und Slive ausgesprochene<br />

Interpretation meldet J. Walford an: „Ruisdael’s<br />

image is not one of ,sadness and imminent tragedy‘ for he represents,<br />

in contrasting warm tones, the relieving cheer of a<br />

typical, late afternoon ,Opklaring‘ – brightening up.“ 46 Aber<br />

gilt in diesem Bildzusammenhang der weiße Rauch aus dem<br />

Schornstein noch als Zeichen eines warmen, behaglichen<br />

Hauses, wie es van Mander für dieses Motiv vorgibt? 47<br />

<strong>Die</strong> Deutung der Situation bleibt ambivalent. Es ist die besondere<br />

Art einer düsteren Harmonie, die das Werk Jacob van<br />

Ruisdaels kennzeichnet, versehen mit einer Spur jenes Pessimismus’<br />

barocker Lyrik, wie ihn treffend auch ein niederländisches<br />

Sprichwort vermittelt: Ons leven is een winterpad: Na<br />

weinig droogs, al weder nat (Unser Leben ist ein Winterpfad:<br />

Ein Stückchen trocken und schon wieder nass).<br />

Aus den Winterlandschaften spricht eine spezifisch künstlerische<br />

Sichtweise auf die Situation Hollands im 17. Jahrhundert.<br />

Aufgezeigte literarische, theologische und politische<br />

Inhalte oder die Dimension sozialer Bedeutungen stellt die<br />

<strong>holländische</strong> Malerei ihren Betrachtern nicht als einen Text vor<br />

Augen, den man eindeutig zielgerichtet zu lesen und zu denken<br />

hätte. „Sie gibt lediglich Hinweise und Anregungen, löst<br />

Assoziationen aus und stützt Gedankenbrücken.“ 48<br />

<strong>Die</strong> extremeren Klimabedingungen können die Thematik „Winter“<br />

mit herausgefordert haben, entscheidend ist jedoch, dass<br />

Naturdinge und Menschenwerk erstmals unter einem einheitlichen<br />

optischen und psychischen Moment dargestellt werden.<br />

Denn: „Was die Landschaftsgemälde in dieser Zeit von solchen<br />

in der älteren Kunst [...] unterscheidet, ist nicht ein höheres<br />

Maß an Naturtreue der Einzeldinge, sondern die Einheitlichkeit<br />

der Abstraktion im Ganzen.“ 49 Zwar überrascht die<br />

<strong>holländische</strong> Landschaftsmalerei durch ihre „Natürlichkeit“,<br />

Natürlichkeit bedeutet aber nichts anderes als einen hohen<br />

Grad an Wahrscheinlichkeit für Darstellungsgegenstand und<br />

Darstellungsart. <strong>Die</strong>se Wahrscheinlichkeit, die in den theoretischen<br />

Schriften des Jahrhunderts oft erörtert wird, bleibt eine<br />

Instanz der Phantasie. 50<br />

<strong>Die</strong> Gemälde sind folglich immer Bilder aus dem Geiste, das<br />

heißt, in vielfacher Hinsicht reflektierte, durchdachte Werke,<br />

wobei die Schulung an den realen Erscheinungen der Natur<br />

nur ein Aspekt unter vielen im Entstehungsprozess ausmacht.<br />

<strong>Die</strong> Leistung der <strong>holländische</strong>n Malerei liegt in der Bildkomposition:<br />

in der Disposition des Bildaufbaues, dem Arrangement<br />

der Szenerie, den Ausdruckswerten der Farbigkeit und<br />

der Tiefendimension inhaltlicher Deutungsoffenheiten. Es ist<br />

Natur im Gewand eines Bildes, niemals nur nüchtern konstatierende<br />

Bestandsaufnahme der Topographie. Elemente der<br />

Landschaft werden nicht wiedergegeben wie man sie begreift,<br />

sondern wie man sie sieht, empfindet und deutet. 51<br />

Es liegt in der Natur begründet, das trotz lustiger Eisvergnügen<br />

Winterlandschaften die allgemeine Metaphorik einer<br />

Seinsallegorie immer beibehalten. Tod und Leben ziehen im<br />

Winter ihre Grenze. 52


Anmerkungen<br />

1 Vgl. A. Wied (1990), S. 34.<br />

2 Ebd. S. 36.<br />

3 Ebd. S. 35, 175 Nr. 79.<br />

4 Ebd. S. 175, Nr. 77.<br />

5 N. Schneider (1994), S. 28.<br />

6 Ebd. S. 28f.<br />

7 Bock/Rosenberg (1930), Bd. 1, S. 71, Nr. 2230, Bd. 2, Abb. Taf. 58.<br />

8 Vgl. Ausstellungskatalog Frozen Silence, Amsterdam (1982), S. 92f.,<br />

Nr. 9, mit Farbabb.<br />

9 Hendrick Avercamp, Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern, bez. H<br />

Aenricus Av, Amsterdam, Rijksmuseum, Inv. Nr. A 1718.<br />

10 Hendrick Avercamp, Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern, bez. auf<br />

dem Schlitten H. A., Puschkin Museum Moskau, Inv. Nr. 593.<br />

11 Vgl. Breen, Adam van, in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 14, München/Leipzig<br />

1996, S. 64–65 (M. C. de Kinkelder).<br />

12 Adam van Breen, Wintervergnügen, bez.: A. v. Breen 1611, Amsterdam,<br />

Rijksmuseum, Inv. Nr. A 2510.<br />

13 Meyer, Julius/Bode, Wilhelm: Verzeichniss der ausgestellten Gemälde<br />

und Handzeichnungen aus den im Jahre 1874 erworbenen Sammlungen<br />

des Herrn Barthold Suermondt, Berlin 1875, S. 37, Nr. 38.<br />

14 Vgl. C. Brown (1984), S. 192.<br />

15 Adam van Breen, Winteransicht des Vijverberg zu Den Haag, bez.:<br />

A. van Breen 1618, Amsterdam, Rijksmuseum, Inv. Nr. A 955.<br />

16 Vgl. K. Renger (1994), S. 28–29, mit Abb.<br />

17 Daten nach J. Giltaij, Jan van Goyen, in: Herren der Meere – Meister der<br />

Kunst. Das <strong>holländische</strong> Seebild im 17. Jahrhundert, Ausstellungskatalog,<br />

Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, 1996/1997,<br />

Berlin, Gemäldegalerie im Bodemuseum, 1997, hrsg. v. Jeroen Giltaij<br />

und Jan Kelch, Gent 1996, mit weiterer Literatur zur Biographie van<br />

Goyens.<br />

18 H.-U. Beck (1972/73), Bd. 1, S. 39f.; C. Vogelaar (1996), S. 84f.<br />

19 Ebd. Bd. 2, S. 2ff.<br />

20 Ebd. Bd. 1, S. 46f.<br />

21 Ebd. S. 47.<br />

22 Vgl. Gemäldegalerie Berlin, Katalog der ausgestellten Gemälde (1975),<br />

S. 184.<br />

23 Ebd., S. 183.<br />

24 Vgl. Ausstellungskatalog: Colf, Kolf, Golf, van middeleeuws volksspel tot<br />

moderne sport, Bergen op Zoom u. a. 1982, S. 19ff.<br />

25 Vgl. Meisterwerke (1985), S. 252.<br />

26 Vgl. Avercamp, Barent, in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 5, München/Leipzig<br />

1992, S. 729 (D. B. Hensbroek-v. d. Poel).<br />

27 Vgl. Gemäldegalerie Berlin, Katalog der ausgestellten Gemälde (1975),<br />

S. 34.<br />

28 Vgl. H. Kauffmann (1923), S. 107.<br />

29 Vgl. F. Bachmann (1982), S. 98.<br />

30 Vgl. W. Stechow (1975), S. 69, Nr. 7.<br />

31 Ebd. Nr. 6.<br />

32 Vgl. ebd. S. 26.<br />

33 Zit. nach W. Stechow (1975), S. 25.<br />

34 Vgl. dazu den Katalog der Gemäldegalerie Berlin aus dem Jahre 1976,<br />

S. 13, dort von I. Geismeier der letzte publizierte Hinweis auf die Datierung:<br />

„Nach alten Angaben trug Nr. 868A früher die Datierung 1664...“<br />

35 Johannes Beerstraaten, Eislauf auf dem Y beim Paalhaus und der Neuen<br />

Burg in Amsterdam, bez.: Joannes Beerstraaten 1663, Amsterdam, Rijksmuseum,<br />

Inv. Nr. C 1175.<br />

36 Vgl. Beerstraaten, Johannes, in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 8, München/Leipzig<br />

1994, S. 257–258 (Uta Römer).<br />

37 Jacobus Lydius, t’ Verheerlijckt Nederland, 1668. Vgl. Schama, Simon,<br />

Überfluß und schöner Schein, München 1988, S. 67.<br />

38 Vgl. Lettau (1994), S. 20.<br />

39 Vgl. dazu den Beitrag „Der unvollständige Himmel“ von F. Ossing in diesem<br />

Katalog, S. 41.<br />

40 Zu religiösen Themen und Landschaften in den Werken Wouwermans<br />

vgl.: B. Schuhmacher (1989), S. 106ff, 148ff.<br />

41 Vgl. K. Demus (1989), S. 92.<br />

42 Vgl. Josua Bruyn, Toward a Scriptural Reading of Seventeenth-Century<br />

Dutch Landscape Paintings, in: P. C. Sutton (1987), S. 84ff.<br />

43 Vgl. W. Wiegand (1971), S. 91.<br />

44 Ebd. S. 88ff., 90.<br />

45 Vgl. S. Slive (1981), S. 101, Nr. 33.<br />

46 Vgl. E. J. Walford (1991), S. 159.<br />

47 Van Mander, Bucolica en Georgica, Amsterdam 1597, S. 5.<br />

48 Zit. nach: R. Schleier (1985) S. 46.<br />

49 Zit. nach E. Hubala (1970), S. 59.<br />

50 Vgl. ebd. S. 59.<br />

51 Zit. nach E. Hubala (1970), S. 59.<br />

52 Für Anregungen und Korrekturen danke ich J. Budde, K. Ebel, A. van<br />

der Goes, H. Nützmann, U. Sbresny, E.-A. Schmitt und F. Seedorfer.<br />

85


Zur Ausstellung sind über dreißig Kunstwerke der Gemäldegalerie<br />

Berlin, ergänzt durch Leihgaben aus dem Kupferstichkabinett<br />

Berlin und aus privatem Besitz ausgewählt worden,<br />

um sich einmal mehr mit der Frage nach dem Realitätsgehalt<br />

der <strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts zu<br />

befassen. Dabei bleiben die Positionen der Kunsthistoriker<br />

nicht unter sich, sie nehmen den Dialog mit den Naturwissenschaften<br />

auf. In Zusammenarbeit mit dem GeoForschungsZentrum<br />

Potsdam fließen dazu Fragestellungen zur Landschaftsbildung,<br />

Wolkensituation und Klimaforschung in die Beurteilung<br />

der Gemälde ein. <strong>Die</strong> Ergebnisse der Geowissenschaften<br />

bieten für die Kunsthistoriker sachdienliche Informationen zur<br />

ikonographischen Analyse der Kunstwerke.<br />

<strong>Die</strong> „<strong>Kleine</strong> Eiszeit“ gilt als durch Änderungen der Sonnenstrahlung<br />

verursachte Klimavariation. Das mit dieser Klimaschwankung<br />

verbundene Himmelsbild, insbesondere die Wolkenerscheinung,<br />

unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom<br />

heutigen Himmel. Dennoch ergeben die Wolken auf den<br />

Gemälden der <strong>holländische</strong>n Meister des 17. Jahrhunderts<br />

keinen vollständigen wissenschaftlichen Wolkenkatalog. Zwar<br />

finden sich alle Haupt-Wolkengattungen in den Gemälden<br />

wieder und ihre Darstellung entspricht durchaus der meteorologischen<br />

Realität, aber bestimmte Wolkenarten, Unterarten<br />

und Begleitwolken tauchen nicht oder nur selten auf. <strong>Die</strong>ses<br />

hat keinen meteorologischen oder klimatologischen Grund.<br />

<strong>Die</strong> Erforschung des Klimas vergangener Zeiten erfolgt durch<br />

Untersuchung verschiedener natürlicher Klimaarchive, wie<br />

Baumringe und Eisbohrkerne. Als einzigartiges Archiv erweisen<br />

sich die Ablagerungen in Binnenseen. Besonders die Seen<br />

erloschener Vulkane, die Maare, sind außergewöhnlich detaillierte<br />

Klimazeugen. Das Algenwachstum in diesen Stehgewässern<br />

hängt von Temperatur und Sonnenstrahlung ab, daher<br />

sind bestimmte Kieselalgen ein Klimaindikator. <strong>Die</strong> Ablagerung<br />

von Algenblüten über z.T. hunderttausend Jahre<br />

erlaubt Rückschlüsse auf die natürlichen kurzfristigen Klima-<br />

86<br />

Zusammenfassung<br />

änderungen. Bei der Untersuchung von Maarsee-Sedimenten<br />

ließen sich Spuren der sogenannten „<strong>Kleine</strong>n Eiszeit“ feststellen,<br />

die gegen Ende des 16. Jahrhunderts begann und um<br />

die Mitte des 19. Jahrhunderts endete. <strong>Die</strong> niedrigeren<br />

Durchschnittstemperaturen, der erhöhte Niederschlag und die<br />

anzunehmenden höheren Windgeschwindigkeiten finden sich<br />

als Klimasignal wieder.<br />

<strong>Die</strong> extremeren Klimabedingungen können die Thematik<br />

„Winter“ mit herausgefordert haben, entscheidend ist jedoch,<br />

dass Naturdinge und Menschenwerk in den Gemälden erstmals<br />

unter einem einheitlichen optischen und psychischen Moment<br />

dargestellt werden. <strong>Die</strong> Landschaftsmalerei dieser Zeit<br />

unterscheidet sich von der älteren Kunst nicht durch ein höheres<br />

Maß an Naturtreue der Einzeldinge, sondern durch abstrahierendes<br />

Gestaltungsvermögen im Bildganzen.<br />

<strong>Die</strong> Frage nach Erfindung und Wirklichkeit in der <strong>holländische</strong>n<br />

Landschaftsmalerei muss als Paradoxon beantwortet<br />

werden: die Künstler haben ihre Bilder realistisch „erfunden“.<br />

Eine bloß realistische Darstellung hätte ihrem Selbstverständnis<br />

nicht genügt, allein die Schilderung des Tatsächlichen wäre<br />

zu belanglos gewesen. Vielmehr zielte das Bestreben darauf,<br />

charakteristisches der Landschaft hervorzuheben und mit<br />

sinnbildlichen Vorstellungen zu verbinden.<br />

Als Fazit der Untersuchungen beider Disziplinen kann festgehalten<br />

werden, dass die Gemälde in den wenigsten Fällen<br />

exakte Dokumentationen ihres jeweils gewählten Landschaftsausschnitts<br />

sind, sondern ausbalancierte Darstellungen zwischen<br />

Tatsachenschilderung einerseits und freier Erfindung andererseits.<br />

Den Zeitgenossen galt jenes Landschaftsgemälde<br />

als gelungen, das den Eindruck erweckte, ganz „naer het<br />

leven“ (nach dem Leben) entstanden zu sein. <strong>Die</strong>ser Effekt war<br />

aber durchaus synthetisch herzustellen: in der Disposition des<br />

Bildaufbaues, dem Arrangement der Szenerie und den Ausdruckswerten<br />

der Farbigkeit. Der Maler fungierte als letzte<br />

Instanz und als Schöpfer „plausibler Fiktionen“.


Over thirty works of art from the Berlin Painting Gallery, complemented<br />

by loans from the Berlin Museum of Prints and Drawings<br />

and from private collections, were chosen for this exhibition to permit<br />

an investigation of the reality content of seventeenth-century<br />

Dutch landscape paintings once again. Not only were the positions<br />

of art historians considered in this endeavor; they also engage in a<br />

dialogue with the natural sciences. Working in collaboration with<br />

the GeoForschungsZentrum in Potsdam, aspects of landscape formation,<br />

cloud situations, and climate research have contributed to<br />

the assessment of the paintings. The findings of the geo-sciences<br />

provided art historians with useful information which could be<br />

applied in iconographical analyses of the works of art.<br />

The "Little Ice Age" is regarded as a climatic variation caused by<br />

fluctuations in solar radiation. The appearance of the sky which is<br />

associated with this climatic change - particularly the cloud features<br />

- does not differ fundamentally from today's sky. Nevertheless, the<br />

clouds painted in works of the Dutch masters of the seventeenth century<br />

do not provide a complete scientific catalogue of clouds.<br />

Although all the main cloud genera are found in the paintings and<br />

their depictions correspond to meteorological reality, certain cloud<br />

varieties, sub-varieties, and accessory clouds do not appear, or<br />

rarely do so. There is no meteorological or climatological explanation<br />

for this.<br />

Climatic change in historical times is investigated by studying natural<br />

climatic archives such as tree rings and ice cores. Sediments<br />

deposited in lakes have proven to be an unparalleled archive. Small<br />

maar lakes of volcanic origin in particular provide unusually detailed<br />

records of climatic change. As the growth of algae in these<br />

lakes depends on temperature and solar radiation, certain diatoms<br />

can be used as indicators of climatic change. The sedimentation of<br />

algal blooms from a period of up to one hundred thousand years<br />

Summary<br />

allows the reconstruction of natural, short-term variations in climate.<br />

The so-called "Little Ice Age" that began towards the end of the sixteenth<br />

century and lasted until the middle of the nineteenth century<br />

could be traced in maar lake deposits. Low average temperatures,<br />

rising precipitation, and higher wind speeds are recorded as climatic<br />

signals in the sediments of this period.While the more extreme<br />

climatic conditions may have been a factor which encouraged the<br />

topic of winter in painting, it is decisive that for the first time phenomena<br />

of nature and works of man are represented under unified<br />

optical and psychic conditions. Landscape painting of this period<br />

differs from older art less in its higher degree of fidelity to nature in<br />

terms of individual objects than in its ability to generalize in the<br />

design of the picture as a whole.<br />

The question of invention and reality in Dutch landscape painting<br />

has to be answered with a paradox: the artists "invented" their<br />

paintings realistically. A mere realistic representation would not<br />

have satisfied their conception of self, and a mere description of the<br />

actual circumstances would have been too trivial. On the contrary,<br />

their aim was to emphasize the characteristic elements of the landscape<br />

and to link them with symbolic ideas.<br />

It can be concluded from the research in both disciplines that in very<br />

few cases are the paintings exact documentations of the detail of<br />

nature chosen, but instead they are balanced representations between<br />

the description of facts on the one hand and free invention<br />

on the other. Landscape paintings which gave the impression that<br />

they had been painted totally "naer het leven" (after life) were considered<br />

successful by contemporaries. But this effect could also be<br />

produced synthetically: in the organization of the composition, the<br />

arrangement of the scenery, and the expressive values of the coloring.<br />

The painter acted as the highest authority and creator of "plausible<br />

fictions." Translation: Tas Skorupa<br />

87


Kursiv gesetzte Zahlen geben die Seitenzahlen der<br />

Abbildungen an, fett gedruckte verweisen auf ausführliche<br />

Erwähnungen.<br />

Alsloot, Denis van 64<br />

Asselijn, Jan 29, 36, 37, 51, 55<br />

Avercamp, Barent 70, 75<br />

Avercamp, Hendrick 66, 66, 67, 68, 70<br />

Backhuysen, Ludolf 54<br />

Beerstraaten, Anthonie van 79, 80<br />

Beerstraaten, Jan Abrahamsz d. Ä. 79<br />

Beerstraaten, Jan Abrahamsz d. J. 79<br />

Beerstraaten, Johannes 79, 81<br />

Blaeu, Willem Jansz 28<br />

Bles, Herri 11<br />

Borcht, Pieter van der 68<br />

Breen, Adam van 68, 69<br />

Bruegel, Jan d. Ä. 14, 64, 68<br />

Bruegel, Pieter d. Ä. 11, 16, 64, 84<br />

Brugghen, Gerard ter 42<br />

Cappelle, Jan van de 84<br />

Cézanne, Paul 11<br />

Constable, John 41<br />

Everdingen, Allart van 26, 35<br />

Friedrich, Caspar David 77<br />

Goes, Hugo van der 64<br />

Goyen, Jan van 11, 16, 17, 18, 24, 46, 49,<br />

68, 70, 71, 72, 73, 79<br />

Haagen, Joris van der 33<br />

Hals, Dirck 20<br />

Hobbema, Meinard 62<br />

Hoogstraaten, Samuel van 16, 42<br />

88<br />

Künstlerverzeichnis<br />

Koninck, Philips 26, 32, 46<br />

Lairesse, Gerard de 42<br />

Mander, Karel van 16, 24, 42<br />

Merian, Maria Sibylla 64<br />

Metsu, Gabriel 21<br />

Molijn, Pieter de 44, 45<br />

Momper, Joos de 64<br />

Neer, Aert van der 46, 50, 76, 77, 77<br />

Ostade, Isack van 70, 74<br />

Patenier, Joachim 11<br />

Pot, Hendrick Gerritsz 18, 19<br />

Poussin, Nicolas 46<br />

Rembrandt Harmensz van Rijn 11<br />

Ruisdael, Jacob Isaacsz van 11, 22, 23, 24, 26, 35, 41,<br />

42, 43, 44, 46, 48, 62, 83, 84<br />

Ruysdael, Salomon Jacobsz van 46, 47, 62, 63, 77, 78,<br />

79, 84<br />

Santvoort, Pieter Dircksz van 39<br />

Valckenborch, Lucas van 64, 65<br />

Velde, Adriaen van de 38<br />

Velde, Esaias van de 14, 15, 16, 22, 44, 64, 68<br />

Venne, Adriaen Pietersz van de 12, 13, 14<br />

Verhaecht, Tobias 16<br />

Vermeer, Jan 11<br />

Vinckboom, David 68<br />

Wouwerman, Philips 31, 40, 51, 79, 82


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(Hg.): Wolken Malerei Klima in Geschichte und Gegenwart,<br />

Berlin 1997, S. 38–58.<br />

Neumann, Nathalie/Ossing, Franz/Zick, Christian: Wolken-<br />

Ge-Bilde. Interaktiver Vergleich der Himmelsdarstellung der<br />

<strong>holländische</strong>n Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts mit<br />

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(DMG) Brandenburg/Berlin (Hg.): Wolken – Malerei –<br />

Geschichte, CD-ROM, Berlin 1996.<br />

North, Michael: Kunst und Kommerz im Goldenen Zeitalter.<br />

Zur Sozialgeschichte der niederländischen Malerei des<br />

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Ossing, Franz: Wolkenmalerei, Fotografie und eine gemeinsame<br />

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Wolken Malerei Klima in Geschichte und Gegenwart, Berlin<br />

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Rein, Bert: <strong>Die</strong> Warvenchronologie des Holzmaars – Vergleichende<br />

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Leipzig 1992 [Original: La vie quotidienne en<br />

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91


Abbildungsnachweis<br />

J. P. Anders, Berlin: 1, 2, 3, 4, 5, 7, 8, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28,<br />

29, 30, 33, 36, 40, 41, 42, 43, 50, 66, 67, 69, 70, 71, 72, 73,<br />

74, 75, 76 , 77, 79, 80, 81, 82, 83, Umschlag Vorder- und Rückseite<br />

A. Brauer, <strong>GFZ</strong> Potsdam: 59<br />

C. Brüchmann, U. Kienel, <strong>GFZ</strong> Potsdam: 62<br />

<strong>GFZ</strong> Potsdam: 16, 57, 61, 63, 64, 65<br />

F. Ossing, <strong>GFZ</strong> Potsdam: 9, 10, 11, 12, 14, 15, 17, 18, 19, 20, 21,<br />

31, 32, 34, 35, 37, 38, 39, 44, 45, 46, 47, 48, 49, Umschlag<br />

Rückseite oben<br />

Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett: 78<br />

Staatsbibliothek, Kartenabteilung: 13<br />

M. Sturm, EAWG Schweiz: 60<br />

University of Warwick, History of Art Dept.: 6<br />

92

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