Jostabeere (Jochelbeere) – Ribes x nidigrolaria

Bei uns im Garten wächst eine Jostabeere. Als wir den Garten übernahmen, stand der Busch schon da. Er war klein und störte nicht, auch wenn wir Jostabeeren nicht so gerne essen. Mittlerweile trägt er fleißig und hat eine staatliche Größe angenommen. Es ist eher ein Baum als ein Busch. Wir ernten immer brav und machen Saft daraus. Meist in Kombination mit Johannisbeeren und Kirschen. Aber einfach so roh wegnaschen, wie wir es mit roten Johannisbeeren, Kirschen, Himbeeren und Erdbeeren tun, das macht keiner von uns. Die Jostabeere spricht uns irgendwie nicht an.

Vielleicht muss ich sie einfach besser kennen, um sie zu mögen, diese Jostabeere… Für eine Annäherung zwischen mir und der Jostabeere habe ich mir diesen Text also vorgenommen:
Die Jostabeere wird auch Jochelbeere und in Österreich Rigatze oder Joglbeere genannt. Sie ist eine Kreuzung aus der schwarzen Johannisbeere (Ribes nigrum) und der Stachelbeere (Ribes uva-crispa). Ribes kommt aus dem arabischen und heißt Rhabarber. Es wird angenommen, dass man den Namen aufgrund des säuerlichen Geschmacks der Beeren gab. Nigrum (lateinisch) bedeutet „schwarz“ und uva-crispa „krause Traube“. Damit könnten die krausen Blätter gemeint sein. Kreuzungen – also Hybride sind im botanischen Namen immer am „X“ zu erkennen. Das steht für Cross, also Kreuzung. Vor dem Kreuz steht eigentlich der Elternteil, der von den Pollen der hinter dem x stehenden Art bestäubt wurde. Wer aber bei der Jochelbeere Vater und Mutter sein soll, ist für mich anhand der Namen nicht klar zu erkennen, da ja beide Elternteile „Ribes“ aus der Familie der Stachelbeeren sind.

Mutter, Vater, Kind: ein Familienstammbaum aus unserem Garten

Beide Elternteile sind in der borealen Zone Eurasiens heimisch, ziemlich robust, können auch in höheren Lagen wachsen und werden etwa seit 400 Jahren bereits als Beerenobst angebaut. Die schwarze Johannisbeere, auch schwarzer Ribisel oder Cassis genannt, ist stachellos, während die Stachelbeere, auch Droscheln, Heckenbeere, Klosterbeere, Krausbeere oder Krusel genannt, hingegen lange einzelne Stacheln an den Ästen hat. Für mich bei der Recherche überraschend war, dass es erwähnenswert scheint, dass Deutschland in der weltweiten Stachelbeerproduktion auf Nummer eins steht mit sagenhaften 47,6 % Marktanteil. Das sind zwar immerhin etwa 80.000 Tonnen Stachelbeeren, aber dennoch bin ich nicht beeindruckt. Stachelbeere als Weltmarktgut? Vielleicht bin ich unterinformiert, aber Stachelbeeren sind m.E. nicht unbedingt ein Obst, das man täglich im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt zum Verkauf sieht. Auch Stachelbeerprodukte sind mir ebenfalls nicht als herkömmliche alltägliche Produkte bekannt. Wir sind nicht traurig, dass unser kleiner Busch in diesem Jahr nur zwei grüne Beeren hat. Für eine Torte hätte es eh nicht gereicht. Diese schmuggeln wir in unseren roten Beerensaft. Aber wer weiß, vielleicht kommt die Stachelbeere wieder in Mode und dann sind wir ganz weit vorne mit dabei! Die schwarze Johannisbeere, von der wir zwei große und ertragreiche Büsche haben, verarbeiten wir hingegen jedes Jahr zu Saft, der sehr gerne von uns getrunken wird.

Der bei uns bekannte Kunstname Josta ist eine Wortkreuzung, ein sogenanntes Kofferwort. Solche Wörter setzen sich aus zwei Teilen eigenständiger Wörter zusammen. In diesem Fall sind es die beiden Ausgangslaute Jo und Sta von Johannisbeere und Stachelbeere. Das neue Wort bedeutet ja auch eine Mischung aus beiden anderen Wörtern. Hingegen dazu setzt sich der Name Jo-chel(beere) aus dem Anfang von Johannisbeere und dem Ende von Stachel(beere) zusammen. Genauso wie das Wort Brunch sich aus Breakfast und Lunch zusammensetzt. Die Sorten der Jochelbeere haben Namen, wie der J-Wurf einer Hundezucht: Josta, Jocheline, Jogrande, Jostine, Jonova,…

Die Früchte der schwarzen Johannisbeere sind etwa 8-12 mm groß, die Stachelbeeren etwa 10-30 mm groß. Die Jostabeere liegt in der Größe genau dazwischen. Auch die Blätter sind ähnlich. Die Früchte hängen in Trauben zu dritt oder fünft fest am Strauch und haben eine schwere Pflückbarkeit im Gegensatz zu den Eltern, aber fallen andererseits auch nicht einfach leicht ab. Die Beeren sind tiefschwarz und süß aber es gibt keine Geschmacksexplosion oder einen Wiedererkennungswert. Und auch wenn der Geschmack nicht unangenehm ist, machen die Reste der vertrockneten Blüte, die fest an der Beere hängen, den Verzehr nicht zu einem besonders schönem Erlebnis.

Jostabeere: heranreifende Frucht mit Blüte / unreife Frucht mit verblühter Blüte / reife Frucht mit vertrockneter Blüte

Als Saft oder Gelee mischen wir die Beere allerdings gerne unter. Schadet nicht. Aber allein als Jostasaft oder Jostamarmelade  würde es in unserer Familie keine Abnehmer finden.

Ernte und Saftproduktion: schwarze & rote Johannisbeeren, Sauerkirschen, Jostabeeren & 2 Stachelbeeren

Warum hat man überhaupt eine so wenig eindrucksvolle Kreuzung erfunden? Dies war Erwin Baur, der 1922 eine mehltauresistente Beerensorte entwickeln wollte. Insgesamt widmete er sein Leben nachdem er eigentlich Arzt und Botaniker war, der Züchtungsforschung und Genetik. Er arbeitete daran, dass es ertragreiche und resistente Pflanzenarten im Staat gab, um die Einfuhr aus dem Ausland zu verringern und ggf. irgendwann ganz auf Importe verzichten zu können. Er verzeichnete große Züchtungserfolge an Getreide, an bitterstofffreien Futterlupinen, an mehltauresistenten Weinreben und eben an der „Erfindung“ der Jostabeere. Zusätzlich war er ein Freund und Vertreter der Rassenhygiene, was bedeutet, positive Erbanlagen zu vergrößern und negative Erbanlagen auszurotten. Dies galt für ihn gleichermaßen sowohl für Pflanzen als auch für den Menschen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die Sterilisationsgesetze sah er als Erfolg und einen guten Start für den Weg der Rassenhygiene. Wer weiß, was Erwin Baur alles Schlimmes gekreuzt, erfunden und getan hätte, wenn er nicht Ende 1933 gestorben wäre. Ich bin sicher, mit seiner Ausbildung und seinem Wissen hätte er es unter den Nazis weit gebracht.

Aber mit dem frühen Tod ist er seinem Traum entkommen und Futterlupinen und die Jostabeere sind alles, was von diesem wohl bösartigen Geist geblieben ist.

Das wäre ein schöner letzter Satz gewesen. Aber er stimmt nicht. In der DDR gab es nämlich eine „Erwin-Baur-Medaille“ für hervorragende Leistungen in der pflanzlichen Züchtungsforschung, denn Baur hat in Brandenburg seinerzeit eine landwirtschaftliche Forschungseinrichtung gegründet, die es bis heute gibt. Bei Ebay werden einige der Medaillen angeboten, allerdings ist die einzige Information dazu immer nur, dass sie sehr selten sein soll. Für 129 Euro allerdings scheint es mit der Nachfrage nicht so weit her zu sein. Es gibt auch drei nach ihm benannte Straßen, einen Platz und einen Weg und in seinem Geburtsort in Baden-Württemberg sogar einen Gedenkstein und eine Realschule mit seinem Namen. Außerdem gibt es eine in der DDR gezüchtete Apfelsorte, die nach Erwin Baur benannt wurde. Herr Baur hat nur durch sein wohl ungeplantes frühes Ableben dafür gesorgt, dass er seine Ideologien nur an Pflanzen und in Schriften ausleben konnte und sein Name heute noch an Straßenschildern steht.

Wir sind erstaunt und mir ist die Jostabeere nicht unbedingt symphytischer geworden. Andererseits was kann diese Pflanze für seinen Erfinder? Wir überlegen trotzdem unsere Jostabeere in Nazibeere umzubenennen und die Beeren im nächsten Jahr den Vögeln zu überlassen. #Nie wieder. Kein Vergeben. Kein Vergessen.

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